Im Rausch des Erfolges reicht der Blick weit in die Zukunft. Nach dem Erdrutschsieg der Bharatiya Janata Partei (BJP) bei den Landtagswahlen im bevölkerungsreichsten Teilstaat Uttar Pradesh verkündet Narendra Modi seine Vision eines „neuen Indiens“. Dieses – so der Regierungschef – solle 2022 erreicht sein, rechtzeitig zum 75-jährigen Jubiläum der indischen Unabhängigkeit.
Wie ein Tsunami habe Modi die Wähler mitgerissen, schwärmen de Anhänger. Mit 325 von 403 gewonnen Mandaten ist BJP-Triumph ein Fanal. In dem ganz auf Modi zugschnittenen Wahlkampf hatte die BJP auf einen Spitzenkandidaten verzichtet. Den neuen Ministerpräsidenten bestimmte Modi nach seinem Erdrutschsieg.
Mit Yogi Adityanath fällt das mächtige Amt an einen Mann, für den der Begriff Konsens ein Fremdwort zu sein scheint. Von seinen Anhängern verehrt, von seinen Gegnern mit Inbrunst verachtet, verkörpert der prominente Hindu-Priester wie kaum ein anderer die Polarisierung in der indischen Politik.
„Adityanath verkörpert eine Politik, die nicht zurückschreckt vor Zwang, Einschüchterung, Drohungen und rücksichtsloser Gewalt gegen seine Gegner, eine Politik, die nur als kriminell bezeichnet werden kann“, schreibt Manjari Katju in der Tageszeitung „The Hindu“.
Während liberale und säkulare Inder den Geistlichen, der standesgemäß im safrangelben Gewand auftritt, als Gefahr für Demokratie und inneren Frieden verdammen, feiern die Anhänger den Yogi als Heilsbringer und Hoffnungsträger, ja als „zweiten Modi“. Bevor der Politiker im Priestergewand seinen Förderer Modi beerbt, wird er zunächst beweisen müssen, dass er das Zeug hat, das als schwer regierbar geltende, ökonomisch zurückgebliebene Uttar Pradesh auf Vordermann zu bringen. Modi, der unangefochtene Star der Hindu-Nationalisten, hatte drei Amtsperioden als Ministerpräsident des Teilstaates Gujarat benötigt, bevor er 2014 als Spitzenkandidat der BJP die Bühne der nationalen Politik eroberte.
„Hindutva“ und Kapitalismus
Derweil zeigen die Diskussionen über Yogi Adiyanath die politischen Bruchlinien der größten Demokratie der Welt auf. Das Land ist politisch gespalten, die Gesellschaft polarisiert: auf der einen Seite stehen die Verfechter eines säkularen Indiens, in dem die Religionszugehörigkeit zweitrangig und Privatsache ist. Ihnen gegenüber haben sich die Hindu-Nationalisten platziert, für die der Hindu-Glaube als Maß aller Dinge gilt. Die BJP ist die Partei der „Hindutva“, des hinduistischen Nationalismus. Mit Modi an der Spitze ist diese Partei gerade dabei, ihre Macht im Staate auf Dauer zu zementieren.
Der Erfolg Modis ist auch das Ergebnis der Schwäche der Opposition, vor allem die Folge des strategischen Geschicks der BJP: Modi und seine Getreuen, allen voran Parteipräsident Amit Shah, haben es meisterhaft verstanden, die BJP als Kraft des wirschaftlichen Fortschritts und zugleich des Hindu-Nationalismus in den Köpfen der Massen zu verankern.
„Hindutva und kapitalistische Entwicklung marschieren Hand in Hand. Das ist Modis ‚neues Indien“, schreibt Manas Chakravarty in der Wirtschatszeitung „Mint“. Entwicklung und Hindu-Nationalismus – diese Doppelung ist in Indien, wo Hunderte Millionen Menschen den Sprung aus der Armut herbeisehnen und der Hinduismus die mit Abstand größte Religion ist, eine kaum schlagbare Kombination.
Held der Hardliner: Yogi Adityanath
Kunstvoll variieren die BJP-Strategen in ihren Kampagnen mit den beiden Elementen. Mal geht es staatstragend um die ökononomische Entwicklung und die – nachweisbaren – Erfolge der Modi-Regierung. Sodann polemisieren die Wahlkämpfer der Partei zur Mobilisierung der Stammwähler gegen Minderheiten und Andersdenkende – und ziehen die nationalistische Karte.
Yogi Adityanath galt lange als der Mann fürs Grobe, der Held der Hardline-Fraktion in der Hindu-Partei. Schlagzeilenträchtig waren seine Ausfälle gegen die große Muslim-Minderheit; oft erinnert wird in diesen Tagen an die Forderung des Yogis, für jede zum Islam konvertierte Hindu-Frau 100 muslimische Frauen zum Hinduismus „heimzuholen“.
Hätte er die Möglichkeit, so polterte der Priester, würde er in jeder Moschee des Landes Statuen von Hindu-Gottheiten installieren. Der Bannstrahl des Yogis verschonte auch die in weiten Kreisen Indiens verehrte Mutter Theresa nicht, der er vorwarf, Teil einer Verschwörung zur Christianisierung des Subkontinents zu sein.

Mann fürs Grobe: Yogi Adityanath. Foto: India Spend Team, CC BY-ND 2.0
Die von Modi veranlasste Beförderung des radikalen Priesters in die allererste Reihe der Partei hat Signalwirkung. Politische Beobachter sehen die Personalie als Hinweis, dass die BJP im Vorfeld der Wahlen von 2019 stärker auf die nationalistische Karte setzen will. Im Lichte des Wahlerfolges von Uttar Pradesh zeigt die Partei ihr wahres Gesicht und fühle sich stark genug, das moderate „Feigenblatt“ fallenzulassen, meint Manas Chakravarty in Mint.
Für Indiens Demokratie, in der der Säkularismus ein Verfassungsprinzip ist, kennzeichnet dies einen Paradigmenwechsel. Kritiker sprechen von „majoritarianism“ und meinen damit ein Systen, in dem die Rechte der Mehrheit die verbrieften Rechte der Minderheit bedrohen, ja neutralisieren. Ein vielzitiertes Beispiel der „Majorisierung“ sind die Fleischverbote, die die BJP-Regierungen in vielen Bundesstaaten verordnen und auf diese Weise in einem – überschaubaren Bereich – die Wahlfreiheit Andersgläubiger (vor allem der Muslime) einschränken.
Die Missachtung der Minderheit bezieht sich nicht nur auf die Fleischpolitik, die in Indien ein Politikum ersten Ranges ist. Sie wird weitaus nachhaltiger bei der politischen Repräsentation deutlich: Kein einziger der neugewählten 312 BJP-Landtagsabgeordneten ist Muslim. Die Marginalisierung der religiösen Minderheit in der Hindu-Partei hat System. „Diese schockierende Unterrepräsentanz der Muslime wird zweifelslos die Ghettoisierung vorantreiben“, warnt Sagarika Ghose in „The Times of India“.
Die Stabilität der indischen Demokratie basiert auf dem Konsens aller Bevölkerungsgruppen, dass es sich für sie lohnt, Teil des größeren Ganzen zu sein. Nur wenn er diese Vision mit Leben erfüllt, wird Narendra Modi am Ende Erfolg haben.
Dr. Ronald Meinardus ist der Leiter des Regionalbüros Südasien der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit (FNF) in Neu Delhi. Twitter: @Meinardus
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