Indien

Modis Pleite

Warum Narendra Modi die wichtigen Wahlen im Bundesstaat Bihar verloren hat – und was das für Indien bedeutet. Eine Analyse.

Ronald Meinardus Von Ronald Meinardus
11. November 2015, Indien
Regierungschef Narendra Modi und seine Partei BJP haben im Bundesstaat Bihar die Wahlen verloren. Foto: Al Jazeera, CC BY-SA 2.0

Eigentlich war es nur eine Landtagswahl. Doch die Kontrahenten stilisierten den regionalen Urnengang im nordöstlichen Bundesstaat Bihar zum politischen Top-Ereignis des Jahres hoch. Der Ausgang der Wahlen gleicht einem politischen Erdbeben, schreibt die führende Tageszeitung The Times of India in einem Kommentar – und die meisten politischen Beobachter schließen sich der Bewertung an.

Mit 104 Millionen Einwohnern zählt Bihar zu den bevölkerungsreichsten Bundesstaaten Indiens. Schon diese Zahl macht die Wahl zu einem vielbeachteten politischen Barometer. Indiens föderale Demokratie bringt es mit sich, dass irgendwo immer Wahlkampf ist in dem Riesenland. Lokale, vor allem aber regionale Wahlen zu den Landesparlamenten wecken auch in der Hauptstadt Neu Delhi das Interesse, denn bisweilen hat ihr Ausgang Auswirkungen auf die nationale Politik – wie dieses Mal in Bihar.

 
Seit Mai 2014 regiert Ministerpräsident Narendra Modi. Er ist das Aushängeschild der Bharatiya Janata Party (BJP), die im Unterhaus eine satte Stimmenmehrheit hat. Für wichtige Gesetzgebungsvorhaben ist eine Mehrheit im Oberhaus nötig, über die die BJP nicht verfügt. Das Oberhaus ist die Kammer der 29 Bundesstaaten. In der Rajya Sabha kontrolliert das Modi-Lager aktuell 67 Sitze, die Opposition 78. Bei den Bemühungen an diesem Machtverhältnis etwas zu ändern, hat die Regierung nun einen Rückschlag erlitten.

Modi ist der Verlierer

Die Wahlen in Bihar fanden über mehrere Wochen verteilt in fünf Phasen statt. Am Ende stand fest: Modi und seine Kandidaten sind die großen Verlierer: Die von der BJP angeführte Koalition brachte es auf gerade einmal 58 Sitze im Landesparlament von Patna; die „große Koalition“ des Ex-Landeschefs Nitish Kumar und seines Amtsvorgängers Lalu Prasad errangen 178 Mandate. Angesichts dieser Relation ist verschiedentlich von einem Erdrutschsieg die Rede.

Bihar ist einer der ärmsten Staaten in Indien – aber auch einer der bevölkerungsreichsten. Foto: Hideyuki Kamon, CC BY-SA 2.0>

Für Modi ist die Niederlage besonders schmerzlich, da seine Strategen die Wahl zu einem Referendum über seine Politik deklariert hatten. In Folge wurde der Wahlkampf zur absoluten Chefsache; zu nicht weniger als 30 Großkundgebungen ist der Ministerpräsident aus Neu Delhi eingeflogen. So etwas hat es noch nie gegeben, vermeldeten Journalisten, die jeden Auftritt Modis verfolgten.

Für die Pleite der BJP gibt es mehr als einen Grund: Die wohl wichtigste Erklärung findet sich in der Person des Wahlsiegers Nitish Kumar, der nun zum dritten Mal das Amt des Regierungschefs antreten wird. Eindringlich hat Kumar seine Popularität unter Beweis gestellt; anders als andere Politiker hatte er viele seiner Wahlversprechen in die Tat umgesetzt und gilt als unbestechlich. Dies sind Tugenden, die den Wahlgewinner von Bihar jetzt zu einem ernsten Kandidaten für die nationalen Wahlen im Jahre 2019 werden lassen.

Weniger glänzend ist das Image des Koalitionspartners Lalu Prasad; er und seine Frau haben das höchste Regierungsamt im Bundesstaat zwischen 1990 und 2005 kontrolliert. Die Amtszeit gelte als das schlimmste in der Geschichte Bihars, schreiben die Chronisten. Trotz Korruption und Vetternwirtschaft bleibt Lalu Praad ein Liebling der Massen. „Wenige Politiker in Indien kommen an sein Charisma und seine Popularität heran“, schrieb vor einiger Zeit die BBC.

Populistische Propaganda

Wie kaum ein anderer gilt Lalu Prasad als ein Meister in der Kastenpolitik, die in dem weitgehend ländlichen Bihar mit seinen intakten Kastenstrukturen erneut eine wahlentscheidende Rolle gespielt hat. Die BJP leistete sich den Luxus, ohne eigenen Spitzenkandidaten ins Rennen zu gehen. Modi und der BJP-Parteichef Amit Shah monopolisierten die Werbung, was bei vielen Wählern am Ende nicht gut angekommen ist.

Schon bei den Landstagswahlen in Neu Delhi im Februar diesen Jahres hatte die BJP eine schwere Niederlage erlitten. Das Votum von Bihar bestätigt den Eindruck, dass zumindest in einigen Landsteilen die Modi-Welle abgeebbt ist. Der Rückgang mag auch daran liegen, dass der Regierungschef seine Botschaft verändert hat. Gebetsmühlenartig kommunizierte Modi bislang, er sei der einzige und beste Garant der wirtschaftlichen Entwicklung des Riesenlandes.

Als die Modi-Strategen in Bihar merkten, das dieses Politikfeld bereits durch den Widersacher erfolgreich besetzt ist, zogen sie eine andere Karte – die der Polarisierung. Um vor allem die Hindu-Wähler zu mobilisieren, polterte der BJP-Wahlkämpfer gegen religiöse Minderheiten und Andersdenkende.

Moslem in Neu Delhi – religiöse Konflikte nehmen in Indien zu. Foto: David Bossart, CC BY-SA 2.0

Moslem in Neu Delhi – religiöse Konflikte nehmen in Indien zu. Foto: David Bossard, CC BY-SA 2.0

Die Wahlkampftiraden in und um Bihar führten zu einer Vergiftung des innenpolitischen Klimas und lösten eine starke Gegenreaktion bei Intellektuellen und Künstlern aus. Je schriller die Töne der Hindu-Nationalisten in Bihar, desto eindringlicher wurden die Warnungen, Indiens Grundfreiheiten und der Säkularismus seien in Gefahr.

Spannungen in Indien

Modis Versuch mit populistischer Propaganda auf Stimmenfang zu gehen, ist nach hinten losgegangen. Der Wähler hat der Methode eine Absage erteilt. Nicht nur in Indien, auch jenseits der Landesgrenzen sind die Beziehungen der religiösen Gruppierungen ein Thema geworden. Kein geringerer als US-Präsident Barack Obama verwies zum Entsetzen seiner Gastgeber bei seinem Indien-Besuch Anfang des Jahres auf die Gefahr von religiösen Spannungen in dem multireligiösen Vielvölkerstaat. „Der Illiberalismus wirft einen Schatten auf Indiens auswärtige Beziehungen“, schreibt C. Raja Mohan vom indischen Think Tank Observer Research Foundation.

Viele Partner in der Welt, die Modi mit seiner visionären Rhetorik von der marktwirtschaftlichen Öffnung begeistert hat, warten auf Vollzug. Die Investoren verlangen Reformen in der Steuerpolitik, der Landfrage, vor allem aber in Bezug auf die altertümliche Arbeitsgesetzgebung. Um hier weiterzukommen, braucht Narendra Modi den Schulterschluß mit der Opposition.

Davon ist im Moment wenig zu sehen. Die Modi-Gegner fühlen sich nach dem Bihar-Votum bestärkt und bestätigt. Die Opposition hat Blut gerochen, Modi und seine BJP sind zu Gejagten geworden. Dieses sind keine guten Voraussetzungen für eine Versachlichung der indischen Politik – und die Umsetzung einer liberalen Reformagenda.

Dr. Ronald Meinardus ist Regionaldirektor Südasien für die  Friedrich-Naumann-Stiftung. Vor seiner Zeit in Indien lebte er viele Jahre in Ostasien und der arabischen Welt.  Bei Twitter erreichen Sie ihn unter @meinardus.
1 Kommentar
  1. […] ist Ramdev hervorragend politisch vernetzt. Mit dem polarisierenden Ministerpräsidenten Narendra Modi versteht er sich prächtig, in der Regierungspartei BJP kennt er die Führungsriege. Das […]

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