Mark Zuckerberg

Facebooks Pleite in Indien

Warum das Aus für das Gratis-Internet eine gute Sache ist

Ronald Meinardus Von Ronald Meinardus
17. Februar 2016, Indien
Indiens Premierminister Narendra Modi trifft Facebook-Chef Mark Zuckerberg in Kalifornien, Foto: Indische Regierung

Für Marc Zuckerberg, den erfolgsverwöhnten Facebook-Gründer, läuft in Indien im Moment so ziemlich alles schief. Mit erheblichem Einsatz hatte der Unternehmer in dem Riesenland für sein Vorzeigeprojekt Free Basic geworben. Zum Nulltarif – so die Vision des Amerikaners – sollten Hunderte Millionen Inder Zugang zum Internet erhalten. Der Plan hatte einen Haken: Das Gratis-Angebot bezog sich nicht auf das ganze Netz, sondern nur auf eine abgespeckte Version. Facebook und seine Partner würden entscheiden, welche Apps die Nutzer ansurfen könnten und welche nicht.

Das Projekt löste eine Grundsatzdebatte aus, die weit über die engen Zirkel der Netzpolitiker hinausreichte – und auch im interessierten Ausland Resonanz fand. Anfang der vergangenen Woche hat Indiens Regulierungsbehörde für die Telekommunikation (TRAI) das mit Spannung erwartete Urteil gefällt: Es ist eine schallende Ohrfeige für Facebook. „Kein Provider darf diskriminierende Tarife für Datenübertragungen verlangen“, verkündete das Aufsichtsamt. Der Satz ist ein Bekenntnis zum Prinzip der Netzneutralität. Positiv formuliert: Die Anbieter müssen sämtlichen Verkehr im Internet gleichberechtigt behandeln.

Bei Facebook zeigte man sich betreten ob des Rückschlags: „Obwohl wir enttäuscht sind, werden wir unsere Bemühungen, die Barrieren im Internet zu überwinden fortsetzen, um denjenigen, die nicht verbunden sind einen leichteren Zugang zum Internet und seinen Chancen zu gewähren“, hieß es in einer Stellungnahme.

Nicht alle im Lager des kalifornischen Konzerns drückten sich in der Stunde der Niederlage derart diplomatisch aus. Einen Sturm der Entrüstung provozierte Facebook-Verwaltungsrat Marc Andreessen, der die Entscheidung des Aufsichtsamtes über Twitter mit einem Rückgriff auf die Geschichte kommentierte: „Anti-Kolonialismus war für das indische Volk für Jahrzehnte katastrophal. Warum also jetzt aufhören?“

Shitstorm und Reue des Facebook-Managers

In besten Fall wollte der Manager, der als einer der Gurus der internationalen Tech-Branche gilt und dem selbst Kritiker keine rassistischen Hintergdanken unterstellen, in seinem Eifer sagen, dass althergebrachte sozialistische und neutralistische Traditionen den wirtschaftlichen Fortschritt Indiens nicht gerade beflügelt haben. Das ist eine Position, die auch viele Inder teilen würden. Doch mit der Denunzierung des indischen Freiheitskampfes hat Andreessen einen politischen Tabubruch begangen. Er ist damit weit jenseits der roten Linien der political correctness gelandet.

Es folgten ein so genannter Shitstorm auf den sozialen Medien und die baldige Reue des vorlauten Managers, der den bösen Tweet löschte und sodann kleinlaut ergänzte, er ziehe ich aus allen weiteren Diskussionen über die indische Politik und Wirtschaft zurück und überlasse das Thema Menschen mit mehr Wissen und Erfahrung.

Sodann meldete sich auch der bekennende Indien-Fan Zuckerberg zu Wort und distanzierte sich von den Kommentaren seines Geschäftspartners. Unterdessen hat in Fachkreisen und in Online-Foren die Aufarbeitung der Hintergründe der als historisch geltenden Entscheidung der indischen Aufsichtsbehörde begonnen. Bei einer Wertung empfiehlt es sich, die ideologischen Scheuklappen zur Seite zu legen.

„Viele indische Start-ups sehen Free Basics als Bedrohung.“Sumanth Raghavendra, Unternehmer

Dann kommt man schnell zu der Einsicht, dass die Ablehnung des Free-Basics-Geschäftsmodells keinesfalls ein anti-kolonialer, anti-westlicher oder gar anti-kapitalistischer Reflex war, wie Andreessen und andere meinten. Indiens Opposition gegen das Facebook-Vorhaben kam von einer kleinen, aber schlagfertigen Gruppe örtlicher Netzpolitiker und unorganisierter Techies, die mehr Zeit im digitalen Raum als im wahren Leben verbringen.

Entscheidend für das Urteil der Regulierer war der Widerstand der Start-up-Branche, die als die dynamischste Kraft der indischen Ökonomie gilt und nicht zuletzt von Ministerpräsident Narendra Modi gehätschelt wird. „Viele indische Start-ups sehen Free Basics als Bedrohung für gleiche Wettbewerbsbedingungen und fürchten, dass es zu Marktverzerrungen und Vetternwirtschaft führen kann“, sagt Sumanth Raghavendra, Start-up-Unternehmer aus Bangalore.

Indiens Premierminister Narendra präsentiert im Januar 2016 seine Start-up-Initiative

Indiens Premierminister Narendra präsentiert im Januar 2016 seine Start-up-Initiative, Foto: Indische Regierung

Erst in der letzten Phase der bald einjährigen öffentlichen Debatte über das Facebook-Projekt sprangen die Politiker der großen Parteien auf den fahrenden Zug und stimmten in den Chor zur Freiheit des Internets ein. Ein weiteres Argument, das die Free Basics-Gegner anführen – und das nicht gerade für den strategischen Verstand des kalifornischen Weltkonzerns spricht – lautet: Das abgespeckte Internet geht an den Bedürfnissen der Inder vorbei und hat am Markt versagt. Ein Jahr hatten die Verbraucher Zeit, das Angebot zu testen, bevor es nun dem Verbot zum Opfer fiel. Die überwältigende Mehrheit der umworbenen Zielgruppe erkannte bald, dass es sich bei Free Basics um eine digitale Mogelpackung handelt.

„Die Armen wollen im Internet surfen wie die Menschen im Westen dies tun.“Vivek Wadhwa, Technologie-Autor

In Indien ist die Datenübertragung vergleichsweise billig. 500 MB Datentransfer sind für einen Dollar zu haben. Teuer sind für die verarmten Massen, die am Existenzminimum kratzen oder darunter fallen, die Endgeräte. Hier liegen die Preise für die billigsten Smartphones aus lokaler oder chinesischer Produktion bei umgerechnet etwa 50 Dollar. Wer dieses Geld investiert, will nicht mit dem dünnen digitalen Zuckerberg-Angebot abgespeist werden. Der will – durchaus verständlich – das ganze Internet.

„Die Armen wollen im Internet surfen wie die Menschen im Westen dies tun: Sie wollen Musik-Videos anschauen, eine breite Auswahl von Webseiten ansehen und Spiele und Unterhaltungs-Apps downloaden“, schreibt Vivek Wadhwa in TechCrunch. „Sie wollen nicht eingeschränkt werden, nur die Gesundsheits- und Erziehungsseiten besuchen zu können, zu denen sie Facebook lenkt.“

Bei Indiens netzpolitischer Debatte ging es am Ende auch um den Grundsatz der Selbstbestimmung – der Selbstbestimmung im Internet, die mit der um sich greifenden Digitalisierung immer wichtiger wird. Die Netzneutralität ist ein Instrument zum Schutz dieses liberalen Grundsatzes. Insofern ist die Entscheidung der indischen Regulierer ein Sieg für die Freiheit.

Dr. Ronald Meinardus ist Leiter des Regionalbüros Südasien der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Neu Delhi. Twitter: @Meinardus

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