Mukesh Ambani

Ein Handy für alle

Der reichste Mann Indiens verteilt Millionen Mobiltelefone fast zum Nulltarif.

Ronald Meinardus Von Ronald Meinardus
17. August 2017, Indien
Inder am Smartphone. Foto: Swaminathan, CC BY-ND 2.0

Mukesh Ambanis Werbeabteilung hatte sich etwas besonders einfallen lassen. Auf ganzseitigen Anzeigen firmierte kein geringerer als Ministerpräsident Narendra Modi unter dem Firmenlogo und dem Satz: „Für Indien und seine 1, 2 Milliarde Menschen“. Dass es bei der Kampagne um die Einführung neuartiger Mobilfunktarife ging, erfuhr der Leser im Kleingedruckten.

Mukesh Ambani ist der reichste Mann Indiens; der Unternehmer hat sich zum Ziel gesetzt, den indischen Telekommunikationsmarkt zu erobern. Das Projekt ging im September des
vergangenen Jahres unter gewaltigem Medienrummel an den Start, als sein Unternehmen Reliance Jio mit einer „extrem aggressiven Preispolitik“ (Handelsblatt) für Schlagzeilen in den Zeitungen und für Entzücken bei vielen Verbrauchern sorgte. Sensationell waren nicht nur die Preisnachlässe bei der Datenübertragung, die Jio den Kunden anbot. Wie eine Bombe schlug die Ankündigun Ambanis ein, Telefongespräche ab sofort zum Nulltarif anzubieten. „Das Zeitalter der bezahlten Sprachdienste ist vorbei“, verkündete der Milliardär und ergänzte mit Zuversicht: „Indien wird sich für immer verändern.“

Mit über einer Milliarde potentieller Mobilfunkkunden bietet Indien enorme Wachstumschancen und ein gewaltiges Potenzial für das Geschäft mit der mobilen Datenübertragung. Neun von zehn Indern haben ein Mobiltelefon. Die Statistik verrät aber auch, dass nur jedes zehnte dieser Geräte über einen Zugang zum Internet verfügt. Experten sprechen in diesem Zusammenhang vom „mobile internet gap“. Diese Lücke zu schliessen, müsse Priorität haben für Schwellenländer wie Indonesien, Pakistan oder Indien, wenn sie im globalen Wettbewerb den Anschluss an die zusehends digitalisierten Volkswirtschaften der Industrienationen nicht verlieren wollen.

Mukesh Ambani ist ein Unternehmer, der seine geschäftlichen Ambitionen gerne mit patriotischer Rhetorik unterlegt. „Die Zeit ist gekommen, dass das digitale Leben das entlegtendste indische Dorf erreicht“, sagt er.

Mit seinen Discount-Angeboten hat Reliance Jio den Markt schnell aufgemischt. Neun Monate nach Einführung der Billig-Tarife hat der Neuling 120 Millionen Kunden gewonnen. Damit ist der Hunger nach Marktanteilen längst nicht gestillt. Die Zielgruppe für die nächste Etappe der Expansion ist klar definiert – und immens: Es sind Mobilkunden mit einem einfachen Handy, die sich zu den aktuellen Preisen ein Smartphone mit 4 G-Geschwindigkeit nicht leisten können. Dieses Marktesegment beziffern Beoachter auf über 500 Millionen Menschen.

Diese potentielle Riesenklientel hatte Mukesh Ambani im Visier, als er Ende Juli mit einem zweiten Super-Schnäppchen- Angebot in die Offensive ging. Dieses Mal lautete die Offerte: Wir geben Euch für eine Schutzgebühr von umgerechnet zwanzig Euro (rückzahlbar nach drei Jahren) ein voll funktionsfähiges Mobiltelefon und dazu extrem günstige Datentarife zu einem Bruchteil der Angebote der Konkurrenz. Das „Jio-Phone“ ist zwar kein reines Smartphone. Doch es ist – hier liegt der große Vorteil – ausgerüstet für den Datentransfer in 4 G-Geschwindigkeit. Experten erwarten in den nächsten Jahren ein „explosives Wachstum“ bei der Datenübertragung in Indien. Das südasiatische Land werde, so die Prognosen, die USA als zweitgrößter Markt für 4 G-Geräte überholen. Aktuell liegen die Inder hinter China und den USA auf Platz 3.

90 Prozent der Freizeit am Smartphone

Der Hunger der Inder nach digitalem Content scheint unersättlich. Der Datenverbrauch pro Nutzer habe sich in den zurückliegenden fünf Jahren verzwanzigfacht, heisst es in einem Bericht der Wirtschaftszeitung MINT. Eine völlig neue Dynamik hat die billige Daten-Flatrate von Reliance Jio ausgelöst; deren Kunden verbrauchen im Schnitt fünf Mal so viele Daten wie die Abonnenten der anderen Anbieter. In dem Bericht ist sodann vom „mobile way of life“ die Rede: Demnach verbringe jede Inder im Schnitt 28 Stunden pro Woche vor dem kleinen Schirm seines Mobiltelefons. 90 Prozent ihrer Freizeit schenken die Inder dem digitalen Gerät, erfahren wir.

Die traditionellen Medien haben das Nachsehen: Im Durchschnitt verbringt der Inder wöchentlich vier Stunden vor dem Fernsehen und nur zwei Stunden mit dem „Konsum“ von Printprodukten.
Die Manie mit den Mobiltelefonen hat tiefgreifende gesellschaftliche und politische Auswirkungen. Kulturpessimisten beklagen die Verarmung der zwischenmenschlichen Kommunikation und die Marginalisierung des Buches. Die große Mehrheit der Inder sehen vor allem eine emanzipative Wirkung des digitalen Zugangs, die Überwindung der Ungleichheit und der gesellschaftlichen Spaltung: für sie ist das Mobiltelefon Ausdruck eines sozialen Aufstiegs, ein Statussymbol wie kein anderes.

Die Geschäftspraktiken des Mukesh Ambani haben den Mobilfunkmarkt aufgerüttelt wie nie zuvor: Bislang teilten sich der indische Marktführer Bharti Airtel, die britische Vodafone und der lokale Anbieter Idea den Markt. Im Zuge der Preisschlacht litten die Aktienkurse, Vodafone musste Verlusste in Milliarden-Höhe abschreiben. Um der Jio-Konkurrenz Paroli zu bieten, sind Vodafone und Idea eine Fusion eingegangen. Das neue Unternehmen wird mit rund 400 Millionen Kunden und einem Marktanteil von rund 35 Prozent der Marktführer in Indien. Diese Position hält bislang Airtel, das – so die Gerüchteküche – sich jenseits der Landesgrenzen nach Geldquellen umsieht, um für künftige Schlachten in Indien gewappnet zu sein.

Es ist absehbar, dass die Aufsichtsbehörden hier ein Wort mitreden werden. Die um ihre Marktanteile beraubten „Platzhirsche“ werfen dem Neuling Reliance Jio „ruinöse Preisgestaltung“ – mit anderen Worten: Dumpingmethoden – vor; dies mit dem Ziel, „ein Monopol für sich selbst zu schaffen“. Das Kartellamt hat die Aufsichtsbehörde aufgefordert ein Machtwort zu sprechen.

Für Mukesh Ambani könnte es noch einmal eng werden. Wir erinnern uns: Vor zwei Jahren stoppte die „Telecom Regulatory Authority of India“ – kurz TRAI – keinen geringeren als Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, der mit seinem „Free basics“ den Indern kostenlosen Internetzugang versprach. Ein Vorwurf damals: das Projekt sei wettbewerbswidrig.

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