Myanmar

Friedensikone am Pranger

Muslime bangen um ihr Leben. Warum sieht Aung San Suu Kyi einfach zu?

Mathias Peer Von Mathias Peer
6. Dezember 2016, Myanmar
Aung San Suu Kyi, Foto: Città di Parma, CC BY-SA 2.0

In der Kritik von Menschenrechtsaktivisten und ausländischen Regierungschefs zu stehen, ist für die Friedensnobelpreisträgerin eine ungewohnte Erfahrung: Aung San Suu Kyi wurde im Westen jahrzehntelang für ihren gewaltlosen Widerstand gegen Myanmars Militärjunta als Freiheitsikone gefeiert. Nun sieht sich die 71 Jahre alte Politikerin, die seit diesem Jahr selbst in Regierungsverantwortung steht, mit schweren Anschuldigungen konfrontiert: Sie verschließe die Augen vor einem möglichen Völkermord in ihrer Heimat, lautet der Vorwurf.

Tausende auf der Flucht

In Rakhine, einer Region im Westen Myanmars, tobt seit Wochen die Gewalt. Die Armee des südostasiatischen Staats geht dort nach eigenen Angaben gegen Aufständische vor. Doch internationale Beobachter beurteilen die Situation grundlegend anders: Sie sprechen von ethnischer Säuberung, Massenvergewaltigungen und hunderten zerstörten Häusern. Die Opfer: zehntausende Angehörige der muslimischen Minderheit Rohingya, die in dem mehrheitlich buddhistischen Land seit Jahren mit Unterdrückung und Verfolgung lebt.

Die Zuspitzung der Lage macht sich besonders an der Grenze zu Bangladesch bemerkbar: Allein seit Mitte Oktober flohen 21.000 Rohingya in die Flüchtlingscamps des Nachbarlands, wie die Internationale Organisation für Migration am Dienstag mitteilte. Wer es trotz strenger Grenzkontrollen bis in die teils improvisierten Flüchtlingscamps schafft, berichtet von traumatischen Erlebnissen. Die 20 Jahre Mohsena Begum ist eine derjenigen, die sich Journalisten anvertraut: Myanmars Soldaten hätten die Häuser ihres Dorfes abgebrannt und den Anführern der Gemeinschaft in aller Öffentlichkeit die Kehle durchgeschnitten, erzählt sie einem Reporter der Nachrichtenagentur AP. Sie selbst sei vergewaltigt worden, bevor sie nach Bangladesch entkommen konnte.

Hunderte Häuser zerstört

Die neue Welle der Gewalt nahm am 9. Oktober ihren Anfang, als eine militante Gruppe bei einem Angriff neun Polizisten tötete. Myanmars staatliche Einsatzkräfte reagierten mit extremer Härte gegen die Rohingya, unter denen die Aufständischen vermutet wurden. Es traf offenbar massenhaft Unschuldige. Das Militär töte und vertreibe die Angehörigen der Minderheit, sagte John McKissick, Repräsentant des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR in Bangladesch. Er warf Myanmars Truppen ethnische Säuberungsaktionen vor.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch berichtete unter Berufung auf Satellitenbilder von Hunderten niedergebrannten Häusern. 30.000 Rohingya befinden sich Schätzungen zufolge auf der Flucht. In einer ungewöhnlich deutlichen Äußerung sprach auch Malaysias Regierungschef Najib Razak am Wochenende von einem Völkermord in Myanmar und kritisierte die De-facto-Staatschefin des Landes: „Wir sagen Aung San Suu Kyi: genug ist genug. Wir werden die Muslime und den Islam verteidigen.“

Suu Kyi wehrt sich gegen Kritik

Suu Kyi selbst zeigte sich von der internationalen Kritik unbeeindruckt: „Die internationale Gemeinschaft sollte uns dabei unterstützen, Frieden und Stabilität zu erhalten, anstatt für immer noch größere Feindseligkeiten zu trommeln“, sagte sie laut Vorabberichten in einem TV-Interview, das am Donnerstag in voller Länge ausgestrahlt werden soll. „Es ist keine Hilfe, wenn sich jeder nur auf die negative Seite konzentriert.“

Suu Kyi befindet sich in einer schwierigen Lage: Die Ministerien für Verteidigung und innere Sicherheit stehen unter der Kontrolle des Militärs und nicht ihrer Regierung. Beobachter finden jedoch, dass sich die Politikerin, die mit ihrem Wahlsieg vor einem Jahr die jahrzehntelang herrschende Militärjunta ablöste, dennoch mehr machen könnte, um die Situation zu entschärfen: „Niemand in dem Land verfügt über eine so große moralische Autorität wie sie“, kommentierte Matthew Smith, Chef der Menschenrechtsorganisation Fortify Rights. Suu Kyi scheine jedoch bei einem möglichen Genozid einfach zuzusehen. UN-Generalsekretär Kofi Annan, der eine Friedenskommission über den Rhakine-Konflikt leitet, äußerte sich am Dienstag etwas zurückhaltender: „Der Vorwurf des Völkermords ist ein schwerer Vorwurf, der genau untersucht werden muss“, sagte er auf eine Pressekonferenz in Yangon. „Man sollte mit diesem Begriff vorsichtig sein.“

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