Migration

Indiens tödlicher Rassismus

Afrikaner in Indien werden Opfer von Gewaltverbrechen. Doch auch Millionen dunkelhäutige Inder leiden.

Ronald Meinardus Von Ronald Meinardus
15. Juni 2016, Indien
Ein Inder afrikanischer Abstammung schleppt Holz. Foto:Nagarjun Kandukuru, CC BY 2.0

Der Mord an dem kongolesischen Studenten Masunda Kitada Oliver in Neu Delhi Ende Mai ist kein gewöhnlicher Kriminalfall. In einem Streit über eine Rikschafahrt prügelte ein Mob den 23-jährigen Studenten zu Tode. Es war der traurige Höhepunkt einer Reihe von Übergriffen gegen Afrikaner in Indien, die längst zu einem Politikum geworden sind und zu einer wichtigen Debatte über Rassismus in Indien führten.

Erst im Frühjahr hatte ein Verbrechen gegen eine Studentin aus Tansania für Aufsehen gesorgt. Im südindischen Bengaluru, sonst eher für seine aufstrebende IT-Industrie bekannt, hatten aufgebrachte Männer die 21-jährige Frau aus einem Bus gezerrt, ihr die Kleider vom Leib gerissen und halb nackt durch die Straßen gejagt. Fälschlicherweise vermuteten die Täter, die Frau habe etwas mit einem Autounfall zu tun, bei dem ein Mann aus Sudan eine Inderin überfahren hatte.

Der Tod Olivers führte schließlich zu einer diplomatischen Krise. Die afrikanischen Botschafter drohten mit politischen Konsequenzen; erst nach intensivem Zureden der indischen Regierung verzichteten die Botschafter auf einen Boykott der Feierlichkeiten zum Afrika-Tag. Kein geringerer als Staatspräsident Pranab Mukherjee bezeichnete den gewaltsamen Tod des Studenten als „extrem schmerzhaft“ und versicherte, die Afrikaner in Indien bräuchten keine Angst um ihre Sicherheit haben.

Natürlich geht es bei dem Thema auch um Macht, Einfluss und wirtschaftliche Interessen. Wie andere Groß- und Regionalmächte hat Indien den Blick auf Afrika gerichtet: Der Handel zwischen Afrika und Indien ist zwischen 2005 und 2013 von sechs Milliarden auf 64 Milliarden Dollar nach oben geschnellt. Im vergangenen Oktober lud Ministerpräsident Narendra Modi zum indisch-afrikanische Gipfeltreffen ein. So ziemlich jeder Staatschef des Nachbarkontinents reiste an.

Derweilen sind die Afrikaner in Indien eine vergleichsweise kleine Gruppe. Die Mehrheit sind Studenten, viele mit indischen Stipendien. Andere sind mit Studienabsichten eingereist, gehen nun aber – oft ohne gültige Papiere – anderen Tätigkeiten nach. In Presseberichten wird die Zahl der Expats aus Afrika mit gerade einmal 40.000 für ganz Indien angegeben. In einem Land mit über 1, 2 Milliarden Einwohnern ist das eine verschwindend kleine Zahl.

„Ich habe Angst. Wir alle haben Angst“

Zahlreich sind die Klagen der Afrikaner über Diskriminierungen und Schikanen. Das erfährt man alsbald im Gespräch mit Betroffenen, aber auch die Lektüre der indischen Presse liefert ein deprimierendes Bild. Ihren Bericht über Rassismus in Indien überschreibt die größte englisch-sprachige Tageszeitung des Landes mit dem Titel „Afrikaner fühlen sich durch Vorurteile verfolgt“. Die Reportage beginnt mit dem Satz: „Wenn Du schwarz bist, bist Du entweder ein Drogenhändler oder eine Prostituierte. Dies ist die tägliche Realität der Afrikaner in Delhi.“

Der Rassismus in Indien bildet die Grundlage für die soziale Ausgrenzung und Ghetto-Bildung: „Die Barrieren zwingen die Afrikaner sich in ihre eigenen Gruppen zurückzuziehen, was wiederum die indischen Nachbarn zusätzlich misstrauisch macht“, sagt Ola Jason aus Uganda, die seit 2013 in Indien lebt. Misstrauen und Diskrimineirung haben zu einer Verunsicherung in der Afrikaner-Gemeinde geführt: „Ich habe Angst. Wir alle haben Angst. Was Oliver passiert ist, kann uns allen passieren“, zitiert die Zeitung The Hindu Oliver’s Cousine Michelle.

Indien ist bunt und vielfältig – und trotzdem rassistisch. Foto: Cory Doctorow, , CC BY 2.0

Indien ist bunt und vielfältig – und trotzdem rassistisch. Foto: Cory Doctorow, , CC BY 2.0

Der Mord an dem Kongolesen hat in Indien eine Debatte ausgelöst, die auch Wochen nach der Gewalttat andauert und teilweise mit schonungsloser Selbstkritik einhergeht. Ohne Rücksicht auf (Image-)Verluste betreiben die Medien eine öffentliche Introspektion, die die Abgründe menschenverachtender Denkmuster in Teilen der indischen Gesellschaft zu Tage fördert.

Die Regierung hatte zunächst versucht, die Tötung des Kongolesen als isolierten Einzelfall abzutun und den „Sensationalismus“ der Medien gegeiselt. Die Medien hat das nicht abgehalten, das Verbrechen mit einer rassistischen Grundhaltung in der indischen Bevölkerung zu erklären: „Gewalt gegen Afrikaner passiert einfach zu häufig, als dass man die amtliche Behauptung, all das habe mit Rassismus nichts zu tun, akzeptieren kann“, urteilt die Online-Zeitung The Wire.

„Die meisten Inder sind unverbesserliche Rassisten“

Noch deutlicher wird in einem Kommentar Pavan Varma, ein indischer Diplomat im Ruhestand: „Die meisten Inder sind unverbesserliche Rassisten. Dieses Hautfarbenbewusstsein einer eindeutig braunen Nation wäre lachhaft, wenn es nicht schlicht und ergreifend erbärmlich ist.“

Der beklagte Rassismus richtet sich nicht ausschließlich gegen dunkelhäutige Menschen aus fernen Ländern. Er ist vor allem ein innerindisches Problem, das aber-Millionen Menschen betrifft. Die Diskriminierung mit ihren vielfachen Auswüchsen ist besonders absurd in einem Land, das in Bezug auf kulturelle und ethnische Vielfalt seines Gleichen sucht. Gleichwohl belasten Vorurteile das Verhältnis der diversen Volksgruppen. Beliebte Opfer sind etwa Menschen aus dem Bundesstaat Bihar, die – das ist die harmlosere Variante – als die „Ostfriesen“ des Subkontinents bezeichnet werden könnten; häufig angefeindet werden auch Inder aus den Nordost-Regionen, die in ihrer Äusserlichkeit eher Ostasiaten gleichen.

Ähnlich der Kasten-Diskriminierung

Für den ausländischen Beobachter ist dieser Rassismus kaum erkennbar. Es ist so ähnlich wie bei der Kasten-Diskriminierung. Man weiss über sie, liest eventuell auch soziologische Abhandlungen; wie sich das diskriminierende System, das unverändert die zwischenmenschlichen Beziehungen vieler Inder prägt, in der Praxis manifestiert, ist für einen Außenstehenden kaum erkennbar.

Schwer zu übersehen ist hingegen die Manie – der Begriff ist mit Bedacht gewählt – vieler Inder mit der Farbe „weiss“, gerade auch wenn es um die Hautfarbe geht. Jedes Jahr geben die Menschen auf dem Subkontinent, ähnlich wie in anderen Teilen der Welt, Aber-Millionen aus für Kosmetika und andere Stoffe, die angeblich den Teint aufhellen. In Heiratsanzeigen, die in den Wochenendausgaben der großen Zeitungen viele Seiten füllen, wird nicht nur nach Kastenzugehörigkeit differenziert. Schamlos suchen die Ehekandidaten zudem nach Partnern mit möglichst heller Komplexion.

„Im Durchschnitt sind die Inder nicht hellhäutig“, meint Chetan Bhagat, „und somit haben Millionen einen Komplex wegen ihrer Hautfarbe“. Der Erfolgsautor spricht in diesem Zusammenhang nicht von Rassismus, sondern „Pigmentokratie“ mit weitreichenden sozialen Implikationen: „Dunkel-häutige Menschen haben weniger Chancen in Indien“, so das harte Urteil. Für die marginalisierten Afrikaner, die auf der Suche nach einer besseren Zukunft nach Indien gekommen sind, ist es allenfalls ein schwacher Trost, dass auch Einheimische oft Opfer rassistischer Diskriminierungen sind.

Dr. Ronald Meinardus ist Leiter des Regionalbüros Südasien der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit in Neu Delhi. Twitter: @Meinardus

3 Kommentare
  1. Heiko Grimm 16. Juni 2016

    Interessanter Beitrag. Rassisten gibt es wohl nicht nur in Deutschland. Das sollte uns wohl allen zu denken geben.

    Im zweiten Absatz sollte es aber aufgebrachte Männer und nicht „augebrachte Männer“ heißen.

    Reply
    • Mathias Peer
      Mathias Peer 17. Juni 2016

      Danke, wir haben den Tippfehler korrigiert!

      Reply
  2. Luca Rosario Roth 17. Juni 2016

    Es wäre interessant zu erfahren, was die juristischen Konsequenzen sein werden.

    Reply

Schreibe einen Kommentar zu Luca Rosario Roth Antworten abbrechen


*