Aung San Suu Kyi

Myanmars historische Wahl

Fünf Gründe, die das Land einzigartig machen

Mathias Peer Von Mathias Peer
6. November 2015, Myanmar
Straßenhändler in Yangon machen mit Aung-San-Suu-Kyi-Fanartikeln gute Geschäfte, Foto Mathias Peer

Myanmar ist ein besonderes Land. Ein halbes Jahrhundert lang stand es unter der Herrschaft einer brutalen Militärjunta. Der Westen isolierte den Staat mit Wirtschaftssanktionen. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von nur etwas mehr als 1200 Dollar im Jahr gehört er zu den ärmsten Teilen Asiens. Seit die Generäle die Macht vor vier Jahren an eine zivile Regierung abgegeben haben, hofft die Welt auf einen schnellen Aufstieg des Landes – und die Etablierung einer echten Demokratie. Ein Meilenstein auf diesem Weg ist die Parlamentswahl am 8. November. Es sind die ersten landesweiten Wahlen seit dem Ende der Militärherrschaft. Die jahrzehntelang unterdrückte Opposition hofft auf einen Machtwechsel. Diese Fakten erklären die Ausgangslage:

1. Die Spitzenkandidatin der Opposition war noch vor fünf Jahren eine Gefangene

Aung San Suu Kyi könnte man fast für Myanmars Nationalheilige halten. Das Poster der Oppositionsführerin hängt in Yangon an vielen Hauswänden. Ihre Fans tragen T-Shirts mit der Aufschrift „Wir lieben Mutter Suu“ und nennen sie respektvoll „die Lady“. Verdient hat sich die mittlerweile 70-jährige Friedensnobelpreisträgerin die Bewunderung mit ihrem beharrlichen Auftreten gegen die Militärdiktatur. 15 Jahre stand sie unter Hausarrest. Die Junta hätte sie zwar zu ihrem Mann und ihren Söhnen ins Ausland reisen lassen. Suu Kyi wollte ihr Land aber nicht zurücklassen – und blieb in Gefangenschaft. Erst am 13. November 2010 kam sie endgültig frei.

Tausende Fans jubeln Aung San Suu Kyi bei einem Wahlkampfauftritt in Yangon zu, Foto: Mathias Peer

Oppositionsanhänger jubeln Aung San Suu Kyi bei einem Wahlkampfauftritt in Yangon zu, Foto: Mathias Peer

2. Die beliebteste Politikerin hat die schlechtesten Chancen

Obwohl kein anderer Politiker in Myanmar so viele Anhänger hat wie Aung San Suu Kyi, gilt sie als die unwahrscheinlichste nächste Regierungschefin. Denn selbst wenn ihre Partei, die National League for Democracy (NLD), jeden einzelnen Parlamentssitz gewinnt, dürften die Abgeordneten ihre Anführerin nicht zur Präsidentin wählen. Dafür sorgt die vom Militär verabschiedete Verfassung, die Personen mit ausländischen Angehörigen für das Amt ausschließt. Suu Kyis Kinder haben die britische Staatsbürgerschaft. Als sie die Vorschrift formulierten, hatten die Generäle offensichtlich Suu Kyi im Sinn. Sie hat sich damit offenbar abgefunden und will im Fall eines Wahlsiegs die Regierung aus dem Hintergrund leiten. Ihr Motto: „Ich werde über dem Präsidenten stehen.“

3. Die Hälfte der Stimmen reicht noch lange nicht für eine Mehrheit

In normalen Parlamenten haben Parteien oder Koalitionen das Sagen, sobald sie mehr als die Hälfte der Stimmen gewinnen. In Myanmar ist das nicht so. Denn von sämtlichen Abgeordnetensitzen werden nur 75 Prozent über Wahlen bestimmt. 25 Prozent gehen automatisch an Vertreter des Militärs. Damit eine Partei sicher über eine eigene Mehrheit verfügt, muss sie deshalb in zwei Drittel der Wahlkreise einen Sitz gewinnen. Verlässliche Umfragen gibt es vor den Wahlen nicht. Dass Suu Kyis NLD aber derart viele Stimmen holen wird, ist alles andere als garantiert. Sollte es ihr nicht gelingen, wird sie einen Kompromiss mit der armeenahen Regierungspartei USDP und dem Militär schließen müssen. [caption id="attachment_304" align="alignnone" width="1916"]Ein NLD-Anhänger in Yangon Ein NLD-Anhänger in Yangon, Foto Mathias Peer[/caption]

4. Das Militär gibt immer noch Befehle

Myanmars Armee hat zwar 2011 die Macht an eine zivile Regierung abgegeben. Die Führungsfiguren der seitdem regierenden USDP trugen bis vor kurzem aber noch selbst Uniform. Präsident Thein Sein verabschiedete sich erst im April 2010 aus dem Militär. Zuvor war er einer der ranghöchsten Generäle. Mehrere Regierungsmitglieder sind nach wie vor Militärangehörige. Wer das Innen- und Verteidigungsministerium sowie das Ressort für Grenzsicherheit leitet, wird in Myanmar nicht vom Regierungschef, sondern vom Militär bestimmt. Auch wirtschaftlich haben die Generäle nach wie vor großen Einfluss. Sie kontrollieren die Firmenkonglomerate Union of Myanmar Economic Holdings und Myanmar Economic Corporation. Die Militärkonzerne betreiben unter anderem Fabriken, Versicherungen, Reiseunternehmen, Bergwerke und Tabakfirmen. Sie sind auch Eigentümer der lokalen Biermarke Myanmar Beer.

5. In Myanmars Sprache gibt es kein Wort für Demokratie

Fast alle Menschen in Myanmar verbrachten den Großteil ihres Lebens unter der Herrschaft einer Militärdiktatur, die Widerstand brutal niederschlug, die Presse zensierte und Oppositionelle ins Gefängnis steckte. Es ist kein Wunder, dass Demokratie für das Land ein ungewohntes Konzept ist. Wie fremd die Idee in der lokalen Kultur ist, kann schon daran sehen, dass es in Myanmars Sprache keinen eigenen Begriff für die Herrschaft des Volkes gibt. Stattdessen müssen sich Politiker und Aktivisten im Ausland bedienen: In den Wahlkampfansprachen ist ausschließlich vom englischen Wort "Democracy" die Rede.
Mathias Peer war in der vergangenen Woche in Myanmar unterwegs, um über den rasanten Wandel des Landes zu recherchieren. Sein Bericht können Sie im Handelsblatt lesen (Ausgabe vom 6. November 2015) und auf Handelsblatt.com. Den Text gibt es auch bei Blendle.

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