Irgendwo ist immer Wahlkampf in Indien. Die föderale Verfassung gibt den 29 Bundesstaaten weitreichende Kompetenzen. Im politischen Tagesgeschäft bestimmen vor allem örtliche und regionale Themen die dortige Agenda. Doch Wahlen in den Teilstaaten haben auch in Indien oft eine gesamtstaatliche, nationale Bedeutung.
Anfang Februar finden in fünf Bundesstaaten Parlamentswahlen statt. Schon die Zahlen zeigen: Es handelt sich um ein politisches Großereignis. Im Brennpunkt steht der Urnengang im Bundesstaat Uttar Pradesh (UP) mit 140 Millionen Wahlberechtigten. Aus logistischen Gründen findet die Abstimmung in sieben Phasen statt, so dass erst Anfang März das Endergebnis vorliegt.
Neben UP sind Wahlen in Uttarkhand, Punjab, Goa und Manipur angesetzt. Jeder dieser Staaten hat eine eigene politische Ausgangslage. Neben den großen nationalen Parteien, allen voran der in Neu Delhi regierenden hindunationalistischen Volkspartei BJP und der oppositionellen Kongresspartei, spielen Regionalparteien eine wichtige Rolle. Diese sehen sich vor allem als Sachwalter einer meist auf einen Bundesstaat begrenzten Wählerschaft.Zum Teil spielen die Regionalparteien auch auf nationaler Ebene eine Rolle, wo sie als Mehrheitsbeschaffer und Koalitionspartner zu Macht und Einfluß kommen.
Es ist auch das Timing, das den anstehenden Urnengängen zusätzliches Gewicht gibt: sie finden zur Halbzeit der fünfjährigen Amtsperiode von Ministerpräsident Narendra Modi statt. Die führende englischsprachige Tageszeitung „The Times of India“ spricht vom „Halbfinale der Regierung“.
Modi war im Frühsommer 2014 mit einem ehrgeizigen Reformprogramm und einer großen Mehrheit an die Macht gekommen. Sollte es ihm jetzt – im Halbfinale – nicht gelingen, einen Sieg davonzutragen, läge für den Rest der Legislaturperiode ein Schatten des Zweifels auf dem bislang in seiner Hindu-Partei unangefochtenen Spitzenmann. Modi hat keinen Hehl aus seiner Ambition gemacht, auch 2019 wieder als Kandidat für das Amt des Regierungschefs in den Ring zu steigen.
Vor den wichtigen Wahlen hat Modi ein starkes Signal gesetzt: Mit seiner Entscheidung, Anfang November blitzartig 86 Prozent der Geldscheine für ungültig zu erklären. Kein anderer Beschluss der vergangenen Jahre hat die Menschen in Indien so unmittelbar betroffen wie die so genannte Demonetarisierung.
Die langen Schlangen vor den Banken und Geldautomaten sind inzwischen verschwunden; über das genaue Ausmaß der wirtschaftichen Schäden des größten finanzpolitischen Eingriffs seit der indischen Unabhängigkeit gibt es indes keine Einigkeit. Der Internationale Währungsfonds IWF hat die Prognosen für das im aktuellen Haushaltsjahr um einen Prozentpunkt auf 6, 6 Prozent gesenkt.
Die Regierung ist bemüht, die „Mini-Rezession“ schönzureden: Mit der weitreichenden Währungsumstellung habe man der Schattenwirtschaft und zugleich der Korruption einen tödlichen Stoß verpasst. Das Programm soll auch die digitale Transformation der indischen Finanzwirtschaft beflügeln, sagt die Regierung.
Hart getroffen hat der plötzliche Rupien-Austausch vor allem die Luxus- und Immobilienbranchen, die traditionell große Teile des unversteuerten Geldes absorbieren. Schweren Schaden hat auch der informelle Sektor genommen, der angesichts der Liquiditätklemme zeitweilig fast zum Erliegen kam. Laut einer Umfrage der State Bank of India haben zwei Drittel der Kleinunternehmer des Landes im Zuge der Geldentwertung finanzielle Verluste erlitten.
Bargeld-Reform als „heiliger Moment“
Aller Einbußen zum Trotz unterstützt die Mehrheit der Inder die Demonetarisierung offenbar als einen überfälligen Schlag gegen Steuerbetrug und Korruption. So begrüßen der Umfrage zufolge 63 Prozent der Geschäftsleute die Reform des Premiers. Dieser wird nicht müde, die Demonetarisierung als Erlösung zu verklären und spricht von einem „heiligen Moment“. Ob diese Rechnung aufgehen wird, ist derweil offen. Die veröffentlichten Umfragen sind nicht wirklich repräsentativ und mit Vorsicht zu betrachten.
Die mit Abstand wichtigste der fünf Wahlen findet in dem bevölkerungsreichsten Teilstaat Uttar Pradesh statt. Modi und die Seinen haben guten Aussichten, dort am Ende als Sieger dazustehen. Zwar tritt die BJP ohne eigenen Spitzenkandidaten an, gleichwohl verfügt sie über ein stattliches Wählerpotential: Bei den Wahlen zum nationalen Parlament vor drei Jahren kam die BJP auf über 40 Prozent der Stimmen. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts eroberte die Partei damals 90 Prozent der Mandate. Dieses Wahlrecht und der Umstand, dass die Modi-Gegner nicht mit Einheitslisten in die Wahlschlacht ziehen, begründen die Zuversicht der BJP.
Trotzdem überlässt Narendra Modi nichts dem Zufall. Als rastloser Wahlkämpfer ist er fast pausenlos auf zahlreichen Kundgebungen im Einsatz. Im dritten Jahr seiner Amtszeit kann sich Modi über eine hohe Zustimmungsrate freuen. Laut Umfrage des US-amerikanischen Pew-Instituts liegt die Zustimmung für den Regierungschef bei über 80 Prozent.
Gleichwohl: Indiens Wahlvolk ist unberechenbar. Zu den eisernen Gesetzen der indischen Demokratie zählt die so genannte „anti-incumbancy-Stimmung“: Während Spitzenpolitiker in anderen Demokratien oft von einem Amtsbonus profitieren, gilt eine lange Verweildauer im politischen Amt in Indien als Hypothek. Die kommenden Wochen werden zeigen, ob dies auch auf Narendra Modi zutrifft.
Dr. Ronald Meinardus ist der Leiter des Regionalbüros Südasien der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit (FNF) in Neu Delhi. Twitter: @Meinardus