Extremismus

Mit Millionen Indonesiern gegen den IS

Auf dem Archipel wird ein moderater Islam praktiziert. Ein Österreicher will das für den Online-Kampf gegen Extremisten nutzen.

Frederic Spohr Von Frederic Spohr
30. Mai 2016, Indonesien
Muslime beim Gebet in Indonesien Jan Wau CC BY 2.0

Wenn Nico Prucha über seinen Feind spricht, dann hört man viel Abscheu – aber auch ein bisschen Respekt. “Die Videos des IS sind professionell gemacht, das muss man anerkennen”, sagt Prucha. “Man kann sogar lernen, wie man mit dem Panzer durch ein Flussbett fährt.”

Doch die Videos der Islamisten handeln nicht nur von Krieg und Gewalt, sagt Prucha. Im Netz finde sich auch unzähliges Material, das sich mit theologischen Fragen befasst – und Anhängern und Interessierten ein kohärentes, islamistisches Weltbild liefert. Genau darauf hat er es abgesehen.

Toleranter Islam in Indonesien

Seit Jahren forscht der Islamwissenschaftler der Universität Wien über die Propaganda von Dschihadisten im Internet. Jetzt will er zurückzuschlagen – und hat sich dafür eine mächtige Organisation als Verbündeten gewonnen: Die Nahdlatul Ulama (“Wiedererwachen der Gelehrten”) in Indonesien. Das langfristige Ziel: “Wir wollen die Hegemonie des IS im Internet brechen”, sagt Prucha. “Noch definieren die Extremisten im Internet, was ein guter Moslem ist”.

Der Islamwissenschaftler Nico Prucha will den IS im Internet bekämpfen. Quelle: YouTube/ICSR

Der Islamwissenschaftler Nico Prucha will den IS im Internet bekämpfen. Quelle: YouTube/ICSR

Es ist ein mächtiger Verbündeter, den sich der Österreicher geholt hat. Die Nahdlatul Ulama (NU) hat schätzungsweise rund 50 Millionen Mitglieder und gehört damit zu den bedeutendsten muslimischen Organisationen. Indonesien ist das Land mit der größten islamischen Bevölkerung der Welt, dort leben rund 225 Millionen Muslime – und der Großteil von ihnen, praktiziert einen moderaten und toleranten Islam.

Allerdings nehmen auch in Indonesien Probleme mit Extremisten zu.  Schätzungen zufolge haben sich rund 500 Indonesier dem IS im Nahen Osten angeschlossen. Im Januar töteten Terroristen, die sich zum IS bekannten, vier Menschen bei einem Anschlag in Jakarta.

Beide Seiten sollen von der Kooperation profitieren: Prucha soll der NU erklären, wie der “Islamische Staat” tickt. Er informiert die Indonesier außerdem darüber, welche Themen die Islamisten-Szene gerade besonders bewegt und mit welchen Hashtags oder über welche Kanäle eine große Reichweite erzielt werden kann.

Die Theologen der NU sollen die Koraninterpretation des IS dann mit ihrem Fachwissen zerlegen – und ein Netz von Aktivisten die moderaten Botschaften im Internet verbreiten. Prucha coacht und versorgt außerdem österreichische Jugendarbeiter mit der indonesischen Auslegung des Islams. Die Kooperation wird vom österreichischen Innenminsterium mit 150.000 Euro gefördert.

Moderate Moslems gibt es zwar viele – doch oft wird kritisiert, dass sie sich mit dem Extremismus zu wenig auseinandersetzen. Die NU dagegen hat erst in diesem Mai auf einem großen Kongress in Jakarta vor den Gefahren des Islamismus für die Welt und den Islam gewarnt. “Sie haben keine Angst Islam und Terrorismus in Verbindung zu bringen“, sagt etwa Magnus Ranstorp, Forschungsdirektor der schwedischen Militärakademie in Stockholm.

Auch Prucha hat diese Erfahrung gemacht: Viele muslimische Geistliche in Europa würden den IS nicht als Problem des Islams sehen, sondern als eine verrückte Gruppe religiöser Analphabeten. “In der NU in Indonesien haben wir aber eine ganze Reihe an Theologen, die bereit sind die IS-Filme anzugucken, die Schriften der Radikalen durchzuarbeiten – und eine islamische Gegenreaktion vorzubereiten.“

In der Freizeit gegen den IS

Wenn der IS mit dem Koran rechtfertigt, dass Homosexuelle von Hochhäusern geschmissen werden sollen, dann sollen die indonesischen Geistlichen nun erklären, warum das gerade nicht so ist. “Mit ähnlichen oder gleichen Stellen im Koran kann ich zu Gewalt und Intoleranz aufrufen, oder aber zu einem Nebeneinander und Pluralismus”, sagt Prucha.

Noch läuft die österreichisch-indonesische Gegenpropaganda erst an. Der Vorsitzende der NU, Yahya Cholil Staquf, bezeichnet die Online-Aktivitäten seiner Organisation noch als “winzig”. Der IS sei im Internet viel schlagkräftiger. Die meisten der indonesischen Aktivisten ziehen in ihrer Freizeit in die Cyber-Schlacht gegen den IS – manchmal können sie sich kaum einen Internetzugang leisten. Noch gebe es zu außerdem wenig Inhalte, die man dem IS entgegenstellen könnte, sagt Prucha.

Die Organisation hat allerdings bereits einen 90-minütigen Film produziert, von dem Teile auch online verfügbar sind. Der Film nutzt dabei unter anderem grausame Ausschnitte aus IS-Propaganda – lässt dazu jedoch einen indonesischen Geistlichen über Menschlichkeit sprechen. Er zeigt außerdem, wie Muslime und Buddhisten auf dem Archipel friedlich zusammenleben.

Prucha wird Teile des Films übersetzen und österreichischen Jugendarbeitern zur Verfügung stellen. Ihm ist klar, dass man bereits radikalisierte Jugendliche mit solchen Maßnahmen kaum wieder zurückholen kann. Darum geht es ihm aber auch nicht. “Wir müssen den Unentschlossenen zeigen, dass es viele Arten des Islams gibt”, sagt er. “Und der pluralistische Islam in Indonesien ist hierfür ein perfektes Beispiel.”

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1 Kommentar
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