Indiens Ministerpräsident Narendra Modi gibt sich gern als Visionär. Mit seiner Politik will er Hunderte Millionen Inder aus der Armut und in die Moderne führen. Seinen Traum vom historischen Entwicklungsschub hat er in Teilprojekte heruntergebrochen und mit marketinggerechten Begriffen versehen: Clean India, Make in India, Digital India heißen die Kampagnen, mit denen der Regierungschef seine Revolution vorantreiben will. Jetzt nimmt ein weiteres Langzeitprojekt Fahrt auf. Das Projekt mit den Namen „Smart Cities Mission“– es soll einen Paradigmenwechsel für Indiens gebeutelte Städte einleiten.
In vielen Teilen der Welt ist das Konzept bei Stadtplanern und Kommunalpolitikern längst Programm. Dort arbeiten Verwaltung und Wirtschaft im Schulterschluss, um Metropolen effizienter, technologisch fortschrittlicher, ökologischer und partizipativer zu machen. Die digitalen Technologien sind der wichtigste Motor der angestrebten urbanen Innovationen.
Das soll nun auch in Indien auf die Schiene gebracht werden. Indiens Minister für Urbane Entwicklung Venkaiah Naidu hat 20 Städte benannt, die als Smart Citys nun staatliche Zuschüsse erhalten. Vorangegangen war ein mehrstufiges Auswahlverfahren, bei denen – so der Minister – die Qualität der lokalen Dienstleistungen, die Finanzstärke der Kommunen, der Grad der Bürgerbeteiligung sowie innovative Technologien Indikatoren waren. Das Ziel: Der Regierung gehe es darum, die Energie- und Wasserversorgung zu sichern und Abwasser- und Müllentsorgung zu regeln. Weitere Schwerpunkte seien Nahverkehr, Internetzugänge und eine effektive Bürgebeteiligung über digitale Kommunikationswege.
65 Millionen leben in Slums
Indiens To-Do-Liste klingt in einem europäischen Kontext weitgehend nach Status quo. Anders als in Europa ist die Lage der meisten indischen Städte indes desaströs. In einem Bericht beklagte die Weltbank kürzlich die „chaotische und versteckte Urbanisierung“ auf dem Subkontinent. Nicht weniger als 65 Millionen Inder leben in Slums, so der Bericht. Das große Wachstum erfolge nicht in den urbanen Zentren, sondern an den Außenbezirken, jenseits des Zugriffs und der Beachtung der überforderten Stadtverwaltungen. Die katastrophalen sozialen Auswirkungen dieser „versteckten Urbanisierung“ sind an den Peripherien der indischen Metropolen Neu Delhi, Mumbai, Hyderabad oder Kolkata nicht zu übersehen.
Zu den Auserkorenen zählt auch die südindische Großstadt Chennai mit ihren rund sechs Millionen Einwohnern. Das ganze Drama der „chaotischen“ Stadtentwicklung in Indiens Metropolen zeigte sich dort beispielhaft im vergangenen Dezember, als die Stadt im Zuge von mehrtägigen Dauerregen im Wasser versank. Fehlende Bebauungsvorschriften und mangelnde Kanalisation kosteten 250 Menschen das Leben. Ähnlich desaströs endeten die Überflutungen in der Wirtschaftsmetropole Mumbai im Jahre 2005 und im vergangenen Frühjahr im nordindischen Srinangar.
Kritiker verweisen dann auch darauf, dass die Stadtverwaltungen zunächst ihre Hausaufgaben machen und die „konventionelle“ Infrastruktur herstellen sollten, bevor futuristische Konzepte für urbane Enklaven entwickelt werden. Die Beratungsfirma Deloitte beziffert die Kosten der Umsetzung der Regierungspläne mit 150 Milliarden US Dollar. Im Vergleich zu diesen Projektionen backen die Haushälter in Neu Delhi in Bezug auf Smart Citys kleine Brötchen. Nach dem nun bekannt gegebenen Plan werden die zwanzig auserkorenen Städte im ersten Jahr mit einem staatlichen Zuschuss von zunächst 29 Millionen US Dollar rechnen können. In den drei Folgejahren seien pro anno jeweils weitere 15 Millionen eingeplant.
Während Kritiker über die vergleichsweise bescheidene Alimentierung des Mega-Projektes lästern und meinen, diese Summen seien ein Tropfen auf den heißen Stein, feiern die Förderer des Projektes (und Modi-Fans) die beabsichtigte Einbindung des privaten Sektors. Modis Mantra lautet auch hier: Public-Private-Partnership. Der Ministerpräsident setzt auf Großinvestitionen aus dem In- und Ausland; tatsächlich haben Smart Citys ohne private Finanzinvestitionen keine Chance.
Google und Facebook stehen in den Startlöchern
Vor allem die Technologie- und Kommunikationsbranche steht Gewehr bei Fuß und ist mit Verlautbarungen, sie werde das Zukunftsprojekt tatkräftig unterstützen, schnell zur Hand. Der Branchendienst Tech in Asia nennt die südasiatische Nation mit ihren 1, 3 Milliarde Menschen eine „potentielle Goldgrube“. Nur ein Viertel der Riesenbevölkerung ist heute online. Über vier Stunden verbringen die Inder, die es sich leisten können, im Netz – das ist doppelt so lange wie vor dem Fernsehen.
Fantasien löst vor allem die Perspektive aus: Über lang oder kurz werde die Mehrheit jener Inder, die heute noch nicht online sind – immerhin knapp eine Milliarde Menschen – das Internet für sich entdecken. Diese Zahlen sind der Stoff, aus dem Narendra Modi seine Vision eines „Digital India“ schmiedet. Hier laufen die Vorstellungen des Politkers und die der Medienkonzerne zusammen. Das Smart-Citys-Projekt ist eine ideale Plattform, den Absichtserklärungen Taten folgen zu lassen.
Hilfe für Smart Citys benötigt
Neben der heimischen Industrie, die auf vielfache Weise mit internationalen Investoren verbändelt ist, sitzen vor allem die globalen Branchen-Riesen in den Startlöchern. Google ist dabei, im Schulterschluss mit der staatlichen indischen Eisenbahngsellschaft an 400 Bahnhöfen des Riesenlandes Hotspots für kostenloses Internet einzurichten. Und Facebook plant in einhundert entlegenen Regionen kostenloses Internet zur Verfügung zu stellen.
Gleichwohl erfährt der Konzern aus Kalifornien gerade, wie schwer es ist, in Indien mit innovativen Geschäftsideen das große Geld zu machen. Der Plan des Facebook-Gründers Marc Zuckerberg, in Indien mit „Free Basics“ ein kostenloses, dafür aber abgespecktes Gratis-Internet auf den Markt zu bringen, scheiterte bislang am Widerstand der staatlichen Regulierungsbehörde und aufgebrachter Netzaktivisten, die nicht zu Unrecht die Netzneutralität bedroht sehen.
Dieser Vorgang, der mittelbar mit den Plänen für Smart Citys in Verbindung steht und bei internationalen Investoren mit Argusaugen verfolgt wird, zeigt beispielhaft die Tücken von privaten Entwickungsvorhaben in Indien. Der politische Willen der Führung in Neu Delhi ist da, ebenso das Bekenntnis der Anleger zum Investitionsstandort Indien. Gleichwohl ist es in diesem Land, das nach wie vor den Sozialismus in der Präambel der Verfassung führt, ein langer Weg bis zur Umsetzung. Schon wittert die Opposition Vetternwirtschaft und politische Patronage. Ganz abwegig ist der Vorwurf nicht; denn die jetzt erkorenen 20 Vorzeige-Städte liegen vor allem in Bundesstaaten, in denen demnächst Landtagswahlen stattfinden.
Vermutlich schwerwiegender als die Kritik der Opposition, die in Indiens lebhafter Demokratie zur Tagesordnung gehört, sind die absehbaren bürokratischen Hürden, wie diese jetzt auch das Facebook- Projekt erfährt.
Modis neues Lieblingsvorhaben wird nur gedeihen, wenn der private Sektor starke Rolle spielt. Aller Schalmeienklänge der Make in India-Kampagne zum Trotz klagen vor allem ausländische Investoren, dass das Geschäftemachen in Indien bisweilen ein verlustreicher Hürdenlauf sein kann. Am Ende wird der Erfolg des Urbanisierungsprojektes, das als zentraler Baustein in Modis Entwicklungsplan gilt, auch von der Ernsthaftigkeit der wirtschaftlichen Liberalisierung abhängen.
Dr. Ronald Meinardus ist der Leiter des Regionalbüros Südasien der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit (FNF) mit Sitz in Neu Delhi. Twitter: @Meinardus
Clean India at first!
Bevor an Digital India usw. zu denken ist, sollten die Menschen genügend zu Essen, sauberes Trinkwasser, eine humane saubere Behausung haben. Die Infrastruktur muss vernünftig ausgebaut werden. Müll ordentlich entsorgt, die Kanalisation, Strom-/(Internet)/Verkehrnetzwerk ausgebaut werden. Krankenhäuser, Schulen und andere Soziale Einrichtungen besser ausgestattet werden. Bildungspflicht für alle, Schulbildung und Material umsonst für jeden und die Sicherung, dass die Kinder auch zur Schule kommen können! Mit der Digitalisierung ist natürlich der Zugang zu Schulmaterial oder eine „Heimschule“ möglich, sofern Geräte, Strom und Internet zugänglich sind.