Insekten

Entspannt die Welt retten

Ein Österreicher soll den Vereinten Nationen helfen, den Welthunger zu besiegen: mit seiner vorbildlichen Grillenfarm.

Frederic Spohr Von Frederic Spohr
27. November 2015, Thailand
Oswald Hackl in seinem Gartenhäuschen im Nordosten von Thailand.

Als Oswald Hackl nach Thailand auswanderte, wollte er eigentlich nur seine Ruhe haben: ein gemütliches Leben als Bauer, nach 40 Jahren als LKW-Fahrer. Er mag es, an seinem eigenen Fischteich zu sitzen und zu angeln, mit nacktem Oberkörper, das ganze Jahr über bei konstanten 30 Grad. Er mag die Abgeschiedenheit seiner kleinen Farm im Nordosten des Landes, und sogar der Instant-Kaffee, den man hier trinkt, schmeckt ihm inzwischen. Manchmal stört es ihn, dass die Thailänder so selten grüßen, erzählt er. Und dass sein Sohn hier in der Schule gelernt hat, Österreich sei eine Walfangnation, findet er ärgerlich. Aber das sind Kleinigkeiten. Er selber grüße jetzt eben auch weniger als in Österreich.

Allein: Ruhe hat der 65-jährige Hackl hier nicht gefunden. Im Gegenteil: Hackl hilft jetzt dabei, die Welt zu retten. Auch heute stoppt wieder eine Karawane aus Mini-Vans vor seinem Haus. Es steigen aus: Rund 20 Wissenschafter und Politiker aus Universitäten und Ministerien. Sie kommen nicht nur aus Thailand, heute sind unter anderem Abgesandte aus Sambia, Ägypten und Nigeria dabei. Die Besucher wollen, dass der ehemalige LKW-Fahrer aus Niederösterreich ihnen hilft, den Hunger in ihren Ländern zu bekämpfen. Mithilfe von Insekten.

Lösung eines der größten Probleme der Menschheit

Hackl züchtet Grillen. Erst hat er es ein paar Jahre lang mit Kühen probiert, aber seine Milchfarm machte zu viel Arbeit und warf zu wenig Geld ab. Seine Frau hatte dann vor sechs Jahren die Idee mit den Insekten: Grillen brauchen nicht viel Platz, sie sind sehr genügsam und gelten in Thailand als Delikatesse. Für Hackl ist seine Grillenzucht nicht mehr als eine bequeme und lukrative Einnahmequelle für den Ruhestand. Für die Vereinten Nationen hingegen ist sie ein möglicher Schlüssel zur Lösung des größten Problems der Menschheit. Bis 2050 könnte sich der Proteinbedarf mehr als verdoppeln. Insekten enthalten viel Eiweiß. Man kann sie überall auf Welt einfach züchten. Für die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO (FAO) sind sie die Nahrung der Zukunft.

Allein: Es gibt weltweit nur sehr wenige Bauern, die Erfahrung mit der kommerziellen Insektenzucht gesammelt haben. Und da kommt Oswald Hackl ins Spiel. Seine Farm ist ertragreich, lukrativ, und besteht schon seit sechs Jahren. Das perfekte Vorbild.

Aus dem vordersten der zehn Fahrzeuge steigt eine zierliche 53-jährige Thailänderin. Auf ihrem T-Shirt steht »Essbare Insekten – die Menschen beißen zurück« und mit ihrer großen schwarzen Sonnenbrille sieht sie selbst ein bisschen aus wie eine Fliege.  Yupa Hanboonsong ist Entomologin, Insektenforscherin an der nahe gelegenen Khon Kaen Universität. Immer wieder schickt sie Mitarbeiter und Studenten, die sich nach dem Wohl der Hacklschen Grillen erkundigen oder neue Zuchtmethoden ausprobieren sollen. Sie knüpft Kontakte zu möglichen Kunden und versorgt Hackl mit neuen Futtermaterialien. Yupa sagt: »Wir stehen erst am Anfang. Bis die Insektenzucht zu einer richtigen Industrie wird, müssen wir noch viel lernen.«

Wie Mischung aus Shrimps und Mandeln

Für ein Kilo Grillen-Ernte braucht man zwei Kilogramm Futter. Kühe sind fünfmal so hungrig. Schweine und Hühner fressen immer noch doppelt so viel. Insekten sind deshalb so genügsam, weil sie Kaltblüter sind und deswegen keine Energie für Körperwärme verbrauchen. Sie verursachen kaum Treibhausgase und brauchen sehr wenig Platz.  Und der Geschmack? Insektenfans sprechen von nussigen Noten, einer popcorn-artigen Konstistenz. Grillen schmecken wie eine Mischung aus Shrimps und Mandeln.

Frittierte Skorpione in Peking. Foto: Harvey Barrison

Frittierte Skorpione in Peking. Foto: Harvey Barrison

Wenige Meter vor Hackls Stall kann man sich kaum noch unterhalten: Die Tiere zirpen unentwegt, wie auf einer Wiese an einem Sommerabend in Europa. Nur viel, viel lauter. Yupa führt die Gruppe in den Stall: Unter einem Wellblechdach haben die Hackls 150 Betonsteinbecken installiert, jeweils etwa so groß wie fünf Badewannen.  In den Becken tummeln sich zwischen gestapelten Eierkartons zehntausende Grillen. Die Kartons sollen die Brutfläche vergrößern und dienen den Insekten als willkommenes Versteck.

Eine Mitarbeiterin zeigt den Besuchern, wie geerntet wird: Sie schüttet die Insekten aus den Eierkartons in einen großen Müllsack. Gleich danach werden sie in einem großen Topf abgekocht, das verlängert die Haltbarkeit. Die Wissenschafter und Beamten verfolgen die Führung mit einer Mischung aus Ekel und Interesse. Einer sammelt mit angewidertem Gesicht selber ein paar Grillen ein und wirft sie in den Plastiksack. Ein anderer filmt ihn dabei und stellt das Video gleich auf Facebook.

Sushi, Burger und Chips aus Insekten

Forscherin Yupa kennt die Vorbehalte und den Ekel gegenüber Insekten gut. Später, zurück an der Uni, zeigt sie ihren Gästen deshalb mittels Powerpoint-Präsentation, was man aus Insekten sonst noch machen kann: Insektensushi, kunstvoll garnierte Heuschrecken und Grillen, aber auch Insektenburger und Insektenchips. Die Chips gibt es in den Geschmacksrichtungen Sour Cream, mediterrane Kräuter und Cheese and Onion. An der Khon Kaen Universität wird ebenfalls experimentiert: Im Kühlschrank von Yupos Büro liegen Grillen-Schokolade und Heuschrecken-Cornflakes.

Grillenzüchter Hackl mag seine Tiere am liebsten unverarbeitet, nur scharf angeröstet und nicht gekocht. Mit einem kühlen Bier ist sein »Ungeziefer«, wie der die Tiere immer noch nennt, für Hackl der perfekte Nachmittagssnack. Ihn stören auch die Beine nicht, die gerne zwischen den Zähnen steckenbleiben. »Als ich die erste Grille gegessen habe, hat mich das an Chips erinnert«, sagt er. Dasselbe hat auch Angelina Jolie gesagt, nachdem sie im Kambdoscha-Urlaub eine Grille probiert hat.

Frittierte Insekten auf einem Markt in Südostasien. Foto: Allie Caulfield

Frittierte Insekten auf einem Markt in Südostasien. Foto: Allie Caulfield

Hackl bevorzugt  die Weibchen: Dank der Dutzenden Eiern in ihren Körpern würden die besonders schön knuspern. Ausgerechnet er hat aber seine Zweifel, ob Insekten zum Grundnahrungsmittel der Zukunft werden. Er sieht die Tiere eher als Delikatesse – weil ihm genau das am meisten Geld einbringt. »Das hat eine große Zukunft bei Nobel-Restaurants, weltweit. Die zahlen jeden Preis.« Doch auch in seiner Umgebung findet er zahlreiche Abnehmer. Neben den großen Geschäftskunden beliefert er viele Straßenstände in den umliegenden Dörfern und Städte.  Ein Kilo Grillen kostet hier mehr als ein Kilo Schweinefleisch. Die Thailänder braten sie in Öl mit Zitronengras und einer Gewürzmischung. Hackl selbst verlässt die Gegend nur selten, einmal die Woche, jeden Freitag, fährt er mit seiner Frau in die Stadt ins Steakhouse.

„Es geht viel daneben, aber wir lernen viel dazu“

Der Geschmack der Insekten hängt vor allem von der Fütterung ab. Jahrelang ernährte Hackl und seine Frau ihre Grillen mit Kraftfutter, das auch in der Hühnermast eingesetzt wird. Inzwischen bekommen sie unter anderem Reishülsenmehl – dadurch würden sie neutraler schmecken. Außerdem füttert er Blätter der tropischen Nutzpflanze Maniok, die er selbst auf einer kleinen Plantage anbaut: zwei Pickup-Ladungen pro Tag, fast kostenlos. In ihrem kleinen Labor an der Uni experimentiert Yupa mit ausgepressten Kokusnussfleisch, einem Abfallprodukt aus der Nahrungsmittelindustrie »Das ist billig zu haben und gut für den Geschmack«, sagt Yupa. Es macht die Grillen süßer.

Von knapp vier Euro Umsatz pro Kilo bleibt ihm etwa ein Gewinn von rund 2,50 Euro. Mittlerweile produziert er rund 15 Tonnen Heuschrecken jährlich, das sind mehr als zehn Millionen Tiere. Während der Erntezeit beschäftigt er eine Handvoll Mitarbeiter. Damit gehört Hackls Farm zu den größeren Betrieben im Land. Und wegen der Kooperation mit der Uni ist sie auch eine Art Schaufenster für die Insektenzucht des Landes. „Hier ist schon die ganze Welt gewesen«, sagt Hackl stolz.

Insekten-PR als dringendste Aufgabe

Können sich die Gäste nach der Führung auf seiner Farm vorstellen, dass die Lebensmittelindustrie in Ihren Heimatländern auf Insektenzucht umsattelt? Mohamed El-Bosily, Beamter beim ägyptischen Landwirtschaftsministerium, sagt: »Niemals.« Gleich neben ihm steht Zaid Alwreikat, Beamter aus Jordanien. Er glaubt, der Verzehr von Insekten verstoße gegen den Islam. »In Jordanien sind Grillen höchstens als Fischfutter interessant«, sagt er. Immerhin: Der Beamte aus Nigeria gibt den Insekten eine Chance.

Yupa kennt diese Probleme: Nicht nur im Westen haben die Menschen keine Lust darauf, die sechsbeinigen Tiere zu essen. Selbst in Ländern, wo Insekten tausende Jahre ein beliebtes Grundnahrungsmittel waren, gelten die Tiere heute als ekelhaft, vor allem in den Städten. Die Forscherin Yupa sieht ihre dringendste Aufgabe daher in einer guten Insekten-PR: »Für viele Menschen fühlt sich das an wie ein Schritt zurück. Wir müssen ihnen klar machen, dass es die Zukunft ist.“

Eine der häufigsten Fragen, die ihre internationalen Gäste ihr stellen: Was, wenn die Tiere ausbrechen, über die Felder herfallen zu einer Plage werden könnten. Yupa winkt ab. »Wir hatten einmal zu viele Grashüpfer im Land«, sagt sie. »Die Behörden wollten Pestizide einsetzen. Aber ich habe ihnen geraten: ‚Sagt den Leuten, sie sollen die Tiere einfach essen‘. Das hat geholfen.«

Der Artikel entstand für das SZ Magazin. Eine längere Version gibt es hier.

3 Kommentare
  1. Udo Schrichten 30. November 2015

    Bekannt aus ThailandTip Forum.

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  2. Jack 3. Dezember 2015

    Ossi ist einer der wenigen Ausländer, die es mit viel Geduld, viel Frust und auch vielen Tiefschlägen geschafft haben, in Thailand eine Existenz auf zu bauen. Viele Rückschläge liessen ihn sowie seine Frau nicht verzagen. Immer etwas neues testen wenn das alte nicht mehr so war wie gehofft. Ich wünsche ihm und seiner Familie noch viel Erfolg, aber auch genug Zeit um das Rentendasein zu geniessen.

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  3. Stefan Della Valle 6. Dezember 2015

    Zu den knusperigen Grillen würde ein Glas unseres hervorragenden Weissweins aus Ananas, den wir in Prachuap produzieren, passen

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