Wer Bekanntheit mit Indiens wachsender Mittelschiht machen will, der begebe sich auf einen Flughafen der Millionenmetropolen Neu Delhi, Mumbai, Chennai oder Bangalore. Dicht gedrängt warten dort Geschäftsreisende, Urlauber und viele andere, die es sich leisten können, auf den Abflug.
Seit Jahren schnellen die Passagierzahlen in die Höhe, nach Angaben der internationalen Luftverkehrsvereinigung IATA im November letzten Jahres um über 16 Prozent. Die Strecke Delhi-Mumbai hält mit 130 Flügen pro Tag den dritten Platz in der internationalen Liste der meistbeflogenen Routen, meldet IATA. Die Statistiken belegen den Boom in Indiens Luftfahrtindustrie.
Für die Dynamik sorgen vor allem die lokalen Billiganbieter; mit Sonderangeboten, zuverlässigem Service und neuem Fluggerät locken sie immer mehr Kunden in die Flugzeuge. Zwischen Low-Cost-Carriers wie Indigo, SpiceJet und Jet Air herrscht ein erbitterter Wettbewerb, der am Ende vor allem den Passagieren zugute kommt.
In dem dynamischen Umfeld hat die staatliche Traditionslinie Air India auf Dauer keine Chance. Wären da nicht die schützende Hand der Regierung und die Millionen-Subventionen aus dem Staatshaushalt, Air India wäre – betriebswirtschaftlich – längst abgestürzt. Die Zeiten, in denen die Traditionsgesellschaft als Aushängeschild für Land und Leute figurierte, sind lange vorbei. „Unzureichender Service, mangelhafte Technik, mieses Essen und stundenlange Verspätungen gehören bei Air India zur Tagesordnung“, heißt es in einem Bericht einer deutschen Tageszeitung unter dem wenig schmeichelhaften Titel „Die drittschlechteteste Airline der Welt“. Das Blatt bezieht sich auf ein Ranking des Flugindustrieunternehmens FlightStats.
Air Indias Misere ist längst zu einem Politikum geworden – über einen Mangel an Publicity kann sich das Management nicht beklagen, allein die allermeisten Bezüge sind negativer Art. Entsetzen löst immer wieder das Verhalten von Politikern aus, die die Flugzeuge fast als ihren Privatbesitz betrachten. Immer wieder kommt es im Zuge von Politiker-Reisen zu kurzfristig „von oben“ anberaumten Flugplanänderungen.
Das staatlich geduldete Missmanagement hat einen hohen volkswirtschaftlichen Preis. Die üppigen Subventionen sollen nun ein Ende haben. Indiens Regierung hat beschlossen, das defizitäre Unternehmen zu privatisieren. Bis Ende des Jahres – so der Plan – soll Air India neue Eigentümer bekommen.
Das Vorhaben gehört zu einem Paket der Regierung, das darauf abzielt, die Bedingungen für ausländische Investoren zu verbessern. Die angekündigten Liberalisierungen sind ein Baustein der von Ministerpräsident Narendra Modi betriebenen „Make in India“-Kampagne. Diese hat zum Ziel, Arbeitsplätze und Wohlstand in das südasiatische Schwellenland zu locken. Der durchschlagende Erfolg der Kampagne lässt auf sich warten. Von einem Paradies für ausländische Investoren ist Modis Indien weit entfernt, hört man aus Wirtschaftskreisen.
140 Flugzeuge zum Verkauf
Auch die angekündigte Privatisierung des maroden Staatsunternehmens kommt eher halbherzig daher. Der Anteil des ausländischen Investors ist von vornherein auf 49 Prozent beschränkt. Es ist nicht das erste Mal, dass die Air India-Privatisierung auf der Tagesordnung steht; die Reform scheiterte bislang aber immer wieder an politischem Widerstand der diversen Interessengruppen. Erst kürzlich hat der zuständige Fachausschuss im indischen Parlament verlangt, die Privatisierung für fünf Jahre hinauszuschieben, auf dass das Unternehmen zwischenzeitlich mit öffentlichen Mitteln saniert werden könne.
Um Protektionisten und Privatisierungsgegnern den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat die Regierung das Vorhaben mit allerlei Einschränkungen verbunden. Nicht nur soll die 49 Prozent-Obergrenze für ausländisches Kapital verhindern, dass Nicht-Inder die Kontrolle übernehmen. Ausführlich zitiert die Wirtschaftspresse einen nicht näher genannten Regierungsvertreter mit den Worten, Neu Delhi werde darauf bestehen, dass auch das Management in indischer Hand bleibt.
Um den Prozess zu beschleunigen, plant die Regierung das Unternehmen gleichsam scheibchenweise an den Markt zu bringen. Die Gesellschaft soll in vier Teile zerlegt werden – neben den Schwester-Airlines Air India und Air India Express sucht die Regierung Bieter für den technischen Betrieb und die Bodenabfertigung.
In dem Verkaufsprospekt, den die Regierung im Schulterschluss mit einer renommierten internationalen Beratungsfirma erarbeitet, werden vor allem die Stärken des Unternehmens Erwähnung finden. Air India besitzt 140 Flugzeuge; der Marktanteil auf dem indischen Markt liegt bei internationalen Routen bei 17 Prozent , im Inland bei 14 Prozent. Ein Pfund, mit dem sich Wucher lässt, ist die Mitgliedschaft in der Star Alliance. Wobei viele Passagiere fragen, wie es hierzu kommen konnte.
Länger als die Liste der Stärken dürfte bei potentiellen Investoren die Mängelliste ausfallen. Nicht untypisch für ein staatliches Unternehmen ist die Belegschaft auch bei Air India mit 20.000 Beschäftigten zu hoch, urteilen Branchenkenner. Dass viele dieser Menschen gewerkschaftlich organisiert sind, ist in diesem Zusammenhang kein Kaufanreiz. Indiens Luftfahrtminister Jayant Sinha versichert, die Regierung erwarte „eine rosige Zukunft für die Mitarbeiter“. Doch diese Aussage deckt sich kaum mit Erfahrungen bei anderen Privatisierungsmaßnahmen.
Bis zu sechs Angebote erwartet
Der grösste Klotz am Bein ist vermutlich der Schuldenberg, den Air India über die Jahre angehäuft hat. Die Schulden sollen sich auf umgerechnet 8, 5 Milliarden US Dollar belaufen. In Fachkreisen ist man sich einig, dass das Unternehmen nur schuldenfrei einen Käufer finden wird. Die Regierung plant laut Medienberichten die Gründung einer Objektgsellschaft, die die Altlasten übernehmen soll.
Unter diesen Voraussetzungen rechnet die Beratungsfirma CAPA (Center for Asia Pacific Aviation) mit vier bis sechs seriösen Angeboten. Offiziell Interesse gezeigt hat bislang lediglich der indische Billigflieger Indigo. Nicht bestätigt ist das Interesse von Singapore Airlines und Qatar Airways. Auch der Tata-Konzern wird in Berichten genannt. Das Unternehmen hatte Air India 1932 gegründet, Angang der fünziger Jahre im Rahmen der Verstaatlichung indes die Kontrolle verloren. Tatas Bezug zur kommerziellen Luftfahrtindustrie ist derweil die Fluglinie Vistara, die der indische Mischkonzern gemeinsam mit Singapore Airlines betreibt.
„Für die Lufthansa Gruppe ist die Teilnahme am Bieterverfahren überhaupt kein Thema“, sagt Wolfgang Will, der die deutsche Airline in Indien vertritt auf Nachfrage. Der Fokus liege derzeit auf der Konsolidierung in Europa, „da gibt es noch vieles zu verdauen“, so der Manager. Wie andere internationale Fluglinien freut sich auch Lufthansa über gute Geschäfte auf dem geographisch günstig gelegenen Subkontinent. „Indien ist ein attraktiver Markt, das Wachstum liegt im internationalen Luftverkehr bei zwischen acht und zehn Prozent“, sagt Will. Und weiter: „Eine neu aufgestellte Air India kann zu Glanz und Gloria wiederkehren.“
Das wünscht sich auch der indische Regierungschef. Derweil verweist die führende Tageszeitung „The Times of India“ auf den grösseren politischen Kontext und nennt das Vorhaben in einem Leitartikel einen „Meilenstein in der Reorientierung der Rolle des Staates in der Wirtschaft“. Narendra Modi – so viel ist klar – macht Druck.
Als Reformer vor drei Jahren angetreten hat seine Halbherzigkeit bei der wirtschaftspolitischen Liberalisierung bei vielen Zweifel an seinen Absichten aufkommen lassen. Ende des Jahres wissen wir mehr – über die wahren Intentionen des Ministerpräsidenten, vor allem aber die Zukunft der (noch) staatlichen indischen Fluggesellschaft.
Dr. Ronald Meinardus ist der Leiter des Regionalbüros Südasien der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit (FNF) in Neu Delhi. Twitter: @Meinardus