Terrorismus

Warum der IS in Indien scheitert

Trotz religiöser Spannungen schließen kaum Muslime dem Islamischen Staat an. Das hat seine Gründe.

Ronald Meinardus Von Ronald Meinardus
25. Juli 2017, Indien
Der Islamischer Staat hat kaum eine Chance in Indien. Quelle: thierry ehrmann, CC BY-ND 2.0

In den internationalen Statistiken der seitens der Terrormiliz „Islamischer Staat“  (IS) inspirierten Terroranschläge sucht man das südasiatische Land vergebens. Dabei böte Indien wegen seiner Demographie und der sozioökonomischen Rahmenbedingungen einen Nährboden für fremdgesteuerten islamistischen Terrorismus: Von rund 1, 3 Milliarden Indern bekennen sich 180 Millionen zum Islam, nur in Indonesien leben mehr Muslime als hier.

Bei der überwältigenden Mehrheit der indischen Muslime fallen die Hassbotschaften der Dschihadisten offenkundig auf taube Ohren. Zwar tauchen immer wieder Werbevideos mit Untertiteln in den Landesprachen Hindi, Urdu und Tamil im Internet  auf, in einer Rede erklärte IS-Chef Abu Bakr al Baghdadi den indischen Subkontinent zum Einzugsgebiet des angestrebten Welt-Kalifats. Doch allem Anschein nach sind nur vergleichsweise sehr wenige indische Staatsbürger den IS-Rufen gefolgt.

Im Vergleich zu anderen Ländern, wo Hunderte, teilweise Tausende den Anschluss an die  Terrormiliz gefunden haben, ließen sich kaum Inder für den IS begeistern.  Wissenschaftler des  Brookings Institution auf das Thema beziffern die Zahl der Inder, die vom IS angeworben wurden, mit 142. Von diesen seien 132 den Behörden namentlich bekannt. Seit 2013 sei die Zahl der Rekruten stetig gewachsen, inzwischen sei dieser Trend aber zum Stillstand gekommen. „Dies weist darauf hin, dass der Islamische Staat in Indien kaum Fortschritte gemacht hat“, resümieren die Experten.

Angespanntes Verhältnis zwischen Hindus und Moslems

Diese Aussage deckt sich mit dem offiziellen Narrativ der Regierung, die schnell eine Erklärung zur Hand hat: „Dies liegt in hohem Maße an dem indischen Ethos“, sagt Außenministerin Swaraj. „Die Verfassung ist säkular und selbst die religiösen Führer predigen Mitgefühl und Toleranz. Wir sind gegen Gewalt.“

Dem offiziellen Bild der interreligiösen Harmonie würden vermutlich viele Inder, vor allem Inder muslimischen Glaubens, widersprechen. Das Verhältnis zwischen Hindu-Mehrheit und Muslim-Minderheit ist historisch belastet. Politisch und gesellschaftlich ist die kopfstarke Muslim-Gemeinde Indiens marginalisiert; auf örtlicher Ebene kommt es immer wieder zu Übergriffen und gewalttätigen Auseinandersetzungen. Anti-muslimische Rhetorik aus dem Umfeld der hindu-nationlistischen Regierungspartei BJP trägt nicht dazu bei, bestehende Gräben zu überwinden; es gibt Stimmen, die das Gegenteil behaupten.

Indiens demokratische Verfassung ist eine wichtige Erklärung für den Erfolg des Staates bei der Eindämmung religiös inspirierter Militanz. Der Säkularismus ist Verfassungsprinzip und Garant für weitreichende Autonomie der Muslime in Glaubensfragen. Beim Personenstandsrecht gilt für Indiens Muslime die Scharia. Mit Argus-Augen wacht eine konservative Geistlichkeit darüber, dass althergebrachte islamischen Traditionen erhalten bleiben, wenn es etwa um Ehe-, Erbschafts- oder das Scheidungsrecht geht.

Die Verfassung gibt der Minderheit auch das Recht eigene Schulen zu betreiben: Die Mehrheit der Madrasen stehen unter der Verwaltung des konservativen religiösen Establishments. Dieses wacht darüber, dass die  Koran-Schulen nicht zum Einfallstor für den aus dem Nahen Osten importierten gewaltorientierten Islam werden.

Entsprechend hat das Terrornetzwerk seine Rekrutierungsstrategie ganz auf den digitalen Raum verlegt. Im Internet sehen Indiens Sicherheitsbehörden die wichtigste Quellle der islamistischen Bedrohung. Facebook, WhatsApp und Twitter sind ein Tummelplatz für IS-Propagandisten und gelten als Kontakthof für die Rekrutierer.  Wie die Online-Anwerbung funktioniert, berichten indische Zeitungen immer wieder im Detail. Oft sind die Verbindungsleute Diaspora-Inder, die im arabischen Raum leben, dort in die Fänge des IS geraten sind und nun ihre Landsleute daheim anlocken wollen.

Beratung statt Bestrafung

Mit einer Reihe von Gegenmaßnahmen hat der indische Staat reagiert. Anfang Mai verkündete die Anti-Terror-Gruppe in der Wirtschaftsmetropole Mumbai, sie habe in den zurückliegenden zwei Jahren 60 Jugendliche daran gehindert, dem „Islamischen Staat“ beizutreten. „Die meisten Jugendlichen wurden online radikalisiert“, erklärt ein Sicherheitsbeamter. „Die Agenten des ISIS suchen im Internet Kontakt zu den jungen Menschen und versuchen sie auf ihr Gebiet zu locken oder zu (terroristischen) Einzeltaten zu verleiten“.

Radikalisierte Muslime an der Ausreise in die arabische Welt zu hindern, ist ein Kernelement der indischen Anti-Terrorstrategie. Zu dieser Strategie gehört auch, die Überführten bzw. Festgenommenen mit Samthandschuhen und nicht wie Schwerverbrecher zu behandeln. „Unser Ziel ist es, sie in die Gesellschaft zurückzuführen und nicht zu Opfern zu machen“, zitiert die indische Presse einen Anti-Terror-Offizier. Beratung statt Bestrafung gilt als Maxime des Umgangs der Behörden mit den meist jugendlichen potentiellen IS-Rekruten.

Dabei greifen die Inder auf die Erfahrungen anderer Regierungen mit so genannten Deradikalisierungsprogrammen für islamistische Gefährder zurück.  Wenn Indiens Ministerpräsident Narendra Modi mit Amtskollegen zusammentrifft, steht die Terror-Abwehr immer auf der Tagesordnung. Das war kürzlich bei seinem Besuch in Berlin so und wird ganz bestimmt auch der Fall sein, wenn der indische Regierungschef Anfang Juli zu einem offiziellen Besuch nach Israel reist. Die Koordinierung und der Erfahrungsaustausch bei der Terror-Abwehr sind längst eine Priorität der indischen Außenpolitik.

Derweil versteht der 17-jährige Abdur Raheman aus Uttar Pradesh die Welt nicht. Zusammen mit vier anderen Muslimen hatte ein Spezialkommando den Jugendlichen festgesetzt, dann aber nach kurzer Zeit wieder laufen lassen. Die Tageszeitung The Times of India zitiert den Koran-Schüler mit den Worten: „In Zukunft werde ich vorsichtiger sein, wen ich auf Faceboook als Freund annehme.“

Dr. Ronald Meinardus ist der Leiter des Regionalbüros Südasien der Friedrich Naumann Stiftung für die Freiheit (FNF) mit Sitz in Neu Delhi. Twitter: @Meinardus

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