Urbanisierung

Der lange Weg zur Smart City

Noch schwimmt in Indiens Städten ein Cocktail aus Kloake, Müll und Regenwasser. Das zu ändern wird schwierig – ist aber möglich.

Ronald Meinardus Von Ronald Meinardus
12. September 2016, Indien
Kalkutta ist eine der größten Städte in Indien. Kann sie zur Smart City werden? Sam Hawley,, CC BY-SA 2

Bei seinem jüngsten Besuch in Indien musste sich  US-Außenminister John Kerry gleich mehrmals für Verspätungen entschuldigen. Anhaltende Monsun-Regen hatten die Straßen überflutet. Auch der VIP-Konvoi des amerikanischen Staatsgastes blieb im Verkehrsstau der Millionenmetropole Neu Delhi stecken. „Ich weiss nicht wie Sie hergekommen sind – mit einem Boot oder einem amphibischen Fahrzeug“, scherzte Amerikas Top-Diplomat und verlängerte seinen Aufenthalt kurzerhand um 48 Stunden.

Auf der Agenda der Gespräche stand auch ein Lieblingsthema des indischen Ministerpräsidenten Narendra Modi: die so genannte „Smart City Mission“, die strategische Vision des indischen Regierungschefs, die urbanen Zentren mit digitaler Technologie und weiteren Innovationen in die Moderne zu katapultieren.

Die anfängliche Euphorie für das staatlich gesteuerte Modernisierungsprojekt hat sichtbar nachgelassen. Auf internationaler Ebene sammelt Modi zwar Zuspruch und Zugaben – die Zahl der ausländischen Regierungen, die das Programm mit Rat und Tat unterstützen wollen, belaufe sich auf 33, verlautet aus amtlicher Quelle. In den Straßen der Megastädte kämpfen die Menschen aber weiterhin mit Problemen, die nur bedingt unter den Schirm der „Smart City Mission“ fallen. Dort geht es vorrangig nicht um innovative Mobilitäts- und Verkehrssysteme oder die Einführung von neuen Formaten der E-governance – und deren Vermarktung in Hochglanzbroschüren. Es geht um wesentlich Grundsätzlicheres: das Überleben von Millionen von Menschen in menschenwürdigen Verhältnissen.

In Bengaluru, dem oft als Silicon Valley Indiens bezeichneten ehemaligen Bangalore, sind die Hälfte der Haushalte nicht an die öffentliche Kanalisation angeschlossen. Mumbai ist Indiens boomende Finanzmetropole und das Zentrum der Bollywood-Filmindustrie. Übersehen wird bisweilen, dass die Hälfte der Menschen dort in Slums lebt. Die Zahl der Bewohner „inoffizieller Siedlungen“ – wie es amtlich heisst – wächst explosionsartig.

Slum in Mumbai – noch ein langer Werg zur Smartcity. Foto: Thomas Leuthard , CC BY-SA 2

Slum in Mumbai – noch ein langer Werg zur Smart City. Foto: , CC BY-SA 2

Prognosen zufolge wird sich die Zahl der Stadtbewohner in Indien in den kommenden vier Jahrzehnten um eine halbe Milliarde Menschen erhöhen. In einem aktuellen Bericht der Vereinten Nationen (C) erscheinen mit Neu Delhi und Mumbai gleich zwei indische Metropolen in der Liga der Städte mit mehr als zehn Millionen Bewohnern. In der Projektion auf das Jahr 2030 rechnen die UN-Experten, dass zehn indische Metropolen in diese Kategorie fallen werden – und Neu Delhi dann über 36 Millionen und Mumbai knapp 28 Millionen Einwohner zählen wird.

Wichtig ist, dass die Experten von „urban agglomorates“ – also städtischen Ballungsgebieten – sprechen. Denn die Mehrheit der Binnenwanderer wird die Stadtzentren kaum erreichen. Sie bleiben schon jetzt an den Außengrenzen hängen auf ihrer Suche nach einem besseren Leben, einem Job, Gesundheitsversorgung und einer Schule für die vielen Kinder – jenseits des Zugriffs und der Fürsorgepflicht der völlig überforderten Stadtverwaltungen.

Die Zahl der „inoffiziellen Siedlungen“ in Neu Delhi wird allein in Neu Delhi mit rund 900 beziffert. Die Stadtregierung, die von der reformerischen Aam Aadmi Partei (frei übersetzt: die Partei des kleinen Mannes) und ihrem machthungrigen Anführer Arvind Kejriwal gestellt wird, hat die Bereitstellung der Basis-Infrastruktur in den Slums zur politischen Priorität erklärt. Es gehe darum, „den hässlichen Cocktail aus Kloake, Müll und Regenwasser“ auszutrocknen. Zunächst, so sagt der Landesminister für Urbane Entwicklung Satyendar Jain, sollen 20.000 Straßen in den Slums angelegt werden – um diese Siedlungen mit der Umwelt zu verbinden.

Doch die Entwicklungspolitik wird zur Nebensache: Die Landesregierung Neu Delhis kämpft an unterschiedlichen Fronten um das politische Überleben. Mit einer Reihe von gezielten Attacken hat die Zentralregierung die Kompetenzen der Landesregierung eingeschränkt und teilweise praktisch lahmgelegt.

Smart City-Vision droht zu scheitern

Raumordnung und Stadtplanung sind hier nicht bekannt. „Die Infrastruktur unserer Städte ist kein Netzwerk oder ein System. Sie ist eine Sammlung fragmentierter Splitter“, sagt Gautam Bhan vom Indian Institute for Urban Settlements. Das gilt auch für die Hauptstadt Neu Delhi, die ohne Plan gewachsen ist und wo – so Experte Bhan – lediglich ein knappes Viertel der Bewohner außerhalb der „spatial illegality“ – der räumlichen Illegalität – leben.

In diesem System, das die Weltbank als „chaotische und verdeckte Urbanisierung“ bezeichnet, ist der Zugang zu Infrastuktur und öffentlichen Dienstleistungen ein Objekt der politischen Macht und Patronage. Indien trägt zu Recht – und nicht ohne Stolz – den inoffiziellen Titel der größten Demokratie der Welt. Eine Besonderheit dieser lebendigen Demokratie ist ein ausgeprägter Föderalismus, der den Einzelstaaten große Machtfülle gibt. Deweil ist die Demokratie auf der kommunalen Ebene, dort wo Politik für die Menschen greifbar und erfahrbar ist, kaum oder allenfalls embryonisch entwickelt.

Das Fehlen einer starken kommunalen Selbstverwaltung ist die größte Hypothek der indischen Smart City-Vision. Anstelle die Kompetenzen der lokalen Gebietskörperschaften auszuweiten und  Kommunalbeamten besser auszubilden, steuert die Zentraleregierung in die entgegengesetzte Richtung. Im Kontext der „Smart City Mission“ hat Neu Delhi kurzerhand eine neue, weitere Behörde ins Leben gerufen: Das „Special Planning Vehicle“ wirkt eher wie eine zentralistische Parallelverwaltung als ein Intrument der lokale Autonomie. Nicht zu Unrecht gibt es Unmut, der in einigen Städten zu offenem Widerstand gegen die „Smart City Mission“ angewachsen ist.

„Alle Entscheidungen müssen auf der örtlichen Ebene getroffen werden“, sagt Amir Ullah Khan, der in leitender Funktion in der indischen Verwaltung tätig war und nun als Berater sein Geld verdient. „Solange die Regierung über die Vergabe der Mittel entscheidet, bleibt wenig Hoffnung für das Smart City Projekt“. Ohne politische Reformen wird Modis Vision das bleiben was sie ist – eine Vision. Ein weiterer Plan ohne Chance der Umsetzung, von denen es in Indien bereits so viele gibt.

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