Liebe Leserinnen und Leser,
eine der tiefgreifendsten Veränderungen, den der Aufstieg der Schwellenländer mit sich bringt, ist die Urbanisierung. Oft setzen wir das mit Slums und Elend gleich. China aber zeigt, dass es auch anders geht. Seit 2012 lebt erstmals über die Hälfte der Chinesen in Städten. Der Prozess läuft nicht ohne Ungerechtigkeiten und Probleme ab, aber man muss dem Land zugestehen: Die Verstädterung findet geordnet statt und eine Verelendung breiter Bevölkerungsschichten durch Slumbildung wurde (bis jetzt) verhindert. Die Ausmaße sind gigantisch. Noch 1980 lebten weniger als 30 Prozent der Chinesen in Städten. Dann siedelte die Regierung per Dekret mehr als 300 Millionen Menschen um. So entstanden gewaltige Metropolen: Peking und Shanghai haben beide mehr als 20 Millionen Einwohner. Chongqing in Westchina gilt – je nach Zählweise – mit 30 Millionen derzeit als größte Stadt der Welt. Über 170 Städte mit mehr als einer Million Einwohnern gibt es im ganzen Land. Zu Ende ist der Prozess noch lange nicht. Der Urbanisierungsgrad soll in den nächsten Jahren auf 70 Prozent steigen.
Hinzu kommt: China plant drei Mega-Citys, Großräume, in denen mehrere Millionenstädte zusammenwachsen. Der nördliche umfasst das Gebiet Peking und Tianjin mit rund 110 Millionen Einwohnern. In der Mitte des Landes sollen die Metropolen Shanghai, Nanjing und Hangzhou zu einem urbanen Großraum mit knapp ebenso vielen Menschen zusammenwachsen. Den südlichen Komplex rund um Guangzhou, Shenzhen und Hongkong habe ich vor zwei Jahren für die WirtschaftsWoche porträtiert. Er umfasst 80 Millionen Menschen und wird 2020 etwa die Wirtschaftskraft Frankreichs haben.
Saudi-Arabien, das in letzter Zeit vermehrt Geschäfte mit China abschließt, scheint sich von der chinesischen Reißbrett-Stadtplanung inspirieren zu lassen. Am Roten Meer soll jetzt „King Abdullah Economic City“ entstehen. 2020 sollen dort bereits 50.000 Menschen leben. Saudi-Arabien folgt dem chinesischen Prinzip: Erst Wohnraum und Infrastruktur bereitstellen, Menschen und Firmen werden dann schon kommen. Im Fall von KAEC hofft man vor allem auf ausländische Pharma-Konzerne – eine der großen Wachstumsbranchen des Landes.
Dass dieser Top-Down-Ansatz auch gründlich schief gehen kann, zeigt allerdings ebenfalls das Beispiel China. Die berühmteste von ihnen ist Kangbashi/Ordos am Rand der Wüste Gobi. Geplant ist die Stadt für eine Million Menschen; heute leben dort rund 70.000. Das ist immerhin gut für Skateboarder, wie dieses Video zeigt.
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Viele Grüße aus Istanbul
Philipp Mattheis
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