Wenn wir über die Flüchtlingskrise sprechen, geht es meistens um Länder wie die Türkei, Griechenland oder Libyen. Das Land aber, das meisten Flüchtlinge aufgenommen hat, ist der Libanon. Der kleine Staat zwischen Syrien und Israel hat vier Millionen Einwohner. Dazu kommen etwa 1,5 Millionen Kriegsflüchtlinge aus Syrien. Das heißt: Jeder Dritte im Libanon ist ein Syrer.
Für die WirtschaftsWoche war ich vergangene Woche in Beirut und in der Bekaa-Ebene, wo die Ärmsten der Flüchtlinge leben. Anders als in Jordanien oder der Türkei gibt es im Libanon keine Flüchtlingslager. Das hat historische Gründe: Als in den Fünfziger Jahren Palästinenser von Israel in den Libanon flohen, entstanden dort Lager, die sich der Zentralgewalt entzogen. Das will man heute vermeiden. So diffundieren die Flüchtlinge irgendwie in die libanesische Wirtschaft.Zeltstadt in der Bekaa-Ebene. Offizielle Flüchtlingslager gibt es im Libanon nicht.
Die schlimmsten Auswirkungen dieser Nicht-Politik sieht man in der Bekaa-Ebene. Im Austausch gegen ein windschiefes Zelt arbeiten dort Frauen und Kinder für knapp fünf Dollar am Tag auf den Gemüse- und Obstplantagen. Viele von ihnen sind verschuldet, so dass sie in einer Art moderner Leibeigenschaft gefangen sind. Das System erhalten ihre eigenen Landsleute aufrecht: Der „Schawusch“ vermittelt die Arbeiter an die libanesischen Großgrundbesitzer weiter. Dafür kassiert er zehn Prozent ihres Lohnes. Knapp ein Fünftel der 1,5 Millionen Syrer lebt so.
Ein Schawusch: Er kassiert zehn Prozent der Löhne der Landarbeiter.
Nicht allen geht es schlecht. Andere haben in Beirut kleine Geschäfte gegründet, oder ihre syrischen Unternehmen einfach über die Grenze geschafft.
Der Libanon ist eines der fragilsten und gleichzeitig widerstandsfähigsten Länder der Welt. Das BIP des Landes wird dieses Jahr um voraussichtlich drei Prozent wachsen. Vor allem die Bau-Branche boomt. Aufzubauen gibt es in dem von Krieg und Bürgerkrieg gebeutelten Land genug. Noch immer gilt Beirut als die Bank des Nahen Ostens.
Innenstadt von Beirut: Noch immer sieht man die Narben der vergangenen Kriege.
Was momentan aber die meisten Probleme bereitet, sind die Kosten, die die Flüchtlinge den Kommunen bereiten. Strom-, Wasser- und Gesundheitsversorgung sind überlastet. Die Schulen haben einen Zwei-Schichten-Betrieb eingeführt, Lehrer fehlen.
Libanon ist hoch verschuldet
Im vergangenen Jahr beantragten Hilfsorganisationen darunter das UNHCR Hilfen in Höhe von 2,14 Milliarden US-Dollar. Bewilligt wurden aber nur 1,87 Milliarden. Für den Rest muss der Libanon irgendwie selbst aufkommen. Die libanesische Staatsverschuldung liegt bei 140 Prozent des Bruttoinlandsprodukt.
Nicolas Chammas von der Beiruter Handelskammer will deswegen, dass die Syrer den Libanon so bald wie möglich verlassen. „Sonst wird Europa bald ein libanesisches Problem bekommen“, prophezeit er.
Für viele Libanesen ist zudem das delikate Gleichgewicht zwischen den Konfessionen bedroht. Ein ausgefeiltes System sorgt dafür, dass Christen, Schiiten und Sunniten gleichermaßen an wichtigen Regierungsfunktionen beteiligt sind. Sollten die 1,5 größtenteils sunnitischen Syrer die libanesische Staatsbürgerschaft bekommen, bricht das System zusammen.
Ein ausführlicher Bericht bald in der WirtschaftsWoche.
[…] Sowohl Zugewanderte als auch Einheimische sind an der Belastungsgrenze. Mattheis traf Frauen, die für eine schiefes Zelt und fünf Dollar am Tag auf Plantagen schufften, und stieß auf ein System, das der Leibeigenschaft ähnelt. Die Infrastruktur ist vollkommen überlastet, Schulen arbeiten im Zwei-Schicht-System. „Der Libanon ist eines der fragilsten und gleichzeitig widerstandsfähigsten Länder der Welt“, schreibt Mattheis. Seine Eindrücke finden Sie hier. […]