„Der beste Präsident“

Warum ist der türkische Präsident Erdogan bei seinen Anhängern so beliebt? Ein Besuch bei seiner Stammwählerschaft im Istanbuler Viertel Kasimpasa

Philipp Mattheis Von Philipp Mattheis
21. April 2016, Türkei
Der türkische Präsident Erdogan bei einem Besuch in Griechenland, Foto: Griechische Regierung , CC BY-SA 2.0

Als ich Anfang dieses Jahres in Istanbul ankomme, schneit es. Ich wohne die ersten Tage in einem Hotel in Cihangir, dem Ausgeh-Viertel der Stadt. Später in einer AirBnB-Wohnung neben einem Transvestiten-Club, noch später ziehe ich meine eigene Wohnung. Erste Termine mit der deutschen Handelskammer, dem Generalkonsulat: Besorgte Blicke, Zurückhaltung, Sätze die mit „Nun ja, dieser Präsident…“ beginnen oder enden. Deutsche Unternehmer, die erzählen, mit diesem Präsidenten sei es schwer, Expats in die Türkei zu bekommen. Ein anderer, ein junger, gepflegter Deutsch-Türke sitzt in einem geräumigen Büro und bestellt Tee. Eine Minute später bringt eine ältere Frau mit Kopftuch zwei Gläser und verschwindet wortlos wieder. „Ich muss meinen Raki jetzt in Deutschland kaufen“, sagt er. „Da ist er billiger als in unserem eigenen Land.“

Junge Istanbuler in Cihangir rollen mit den Augen, wenn man den Namen „Erdogan“ erwähnt, als beschwöre man gerade den Leibhaftigen, den der ihnen das Leben zur Hölle auf Erden macht.

Wie aber ticken seine Anhänger – und zwar nicht die durchgepeitschten Internet-Trolle, die jeden halbwegs kritischen Artikel über Erdogan zuspamen, sondern die breite Masse, die ihm vier Mal hintereinander ihre Stimme gab?

Die andere Türkei ist keine 20 Minuten zu Fuß vom sündigen Cihangir entfernt. Erdogan ist in Kasimpasa aufgewachsen, ein Scherbenviertel am Hang, zwischen den schicken Bars und dem Goldenen Horn.

Da ist Yasar Ayhan, ein kleiner Mann mit rundem Gesicht, der Erdogan noch immer manchmal die Haare schneidet. „Er ist der beste Präsident, den man sich vorstellen kann!“, sagt er.

Yasar Ayhan schneidet Präsident Erdogan seit Jahren die Haare - heute natürlich seltener als früher

Yasar Ayhan schneidet Präsident Erdogan seit Jahren die Haare – heute natürlich seltener als früher

Einer seiner Kunden, ein Seemann, mit Falten im Gesicht, so tief, wie sie nur Seemänner haben können, ruft von hinten: „Glauben Sie nicht seinen Gegnern!“

„Seit Erdogan an der Regierung ist, geht es allen besser“, meint ein lächelnder 80-jähriger Mann auf Deutsch, der mal Gastarbeiter in Hamburg war.

Zumindest das lässt sich mit Zahlen belegen.

Erdogan wird als „schwarzer Türke“ geboren. So heißen die armen, ungebildeten, aber frommen Türken. Schwarze Türken siezen weiße Türken, weiße Türken duzen schwarze Türken. Schwarze Türkinnen tragen Kopftuch, weiße Türkinnen trinken Raki. Weiße Türken haben im Ausland studiert, schwarze Türken gehen freitags in die Moschee. Weiße Türken sind säkular und die staatstragende Schicht. So ist das seit Gründung der Republik 1923 durch Kemal Atatürk.

Als die AKP, von Erdogan aus konservativen und liberalen Elementen zusammengezimmerte Partei, 2001 an die Macht kommt, liegt das Pro-Kopf-Einkommen bei unter 4000 Dollar im Jahr. Das ist in etwa Dritte-Welt-Niveau. Die wirtschaftliche Macht konzentriert sich bei der kemalistischen Elite. Die Inflation liegt bei 60 Prozent.

Die AKP-Regierung setzt ein Reform-Programm auf, das auf Empfehlungen des Internationalen Währungsfonds basiert. Ganze Sektoren wie zum Beispiel der Energie-Markt werden privatisiert. Das Geld investiert die Regierung in Infrastrukturprojekte, baut Straßen, Dämme, Flughafen, Krankenhäuser im anatolischen Hinterland.

Die Wirtschaft wächst zwischen 2002 und 2007 um sieben Prozent im Jahr. Die Inflation fällt auf fünf Prozent. Ausländisches Kapital fließt ins Land. Erstmals profitieren von dem Aufschwung nicht nur die Eliten, sondern breite Bevölkerungsschichten.

Das Pro-Kopf-Einkommen verdreifacht sich innerhalb weniger Jahre. Wie er sich erklärt, dass manche Türken Erdogan nicht so gut finden, frage ich den Friseur Yasar. Er zuckt mit den Schultern: „Sie müssen entweder sehr dumm, oder sehr faul sein, und anderen ihren Erfolg neiden.“

Aus Sicht der AKP-Anhänger fand unter Erdogan auch keine Islamisierung statt. Viele Türken sehen darin eine Befreiung. „Mein Onkel verkaufte in den Achtzigern Jahren im Jahr 2,7 Millionen Kopftücher“, sagt Mehmet Dursun. Er produziert hochpreisige Seidentücher der Marke „Armine“ zwischen 15 und 50 Euro. „Mein Absatz ist viel geringer, aber meine Kundinnen haben heute erstens Geld, und zweitens trauen sie sich, das Kopftuch in der Öffentlichkeit zu tragen.“ Nach Dursuns Meinung tragen heute also nicht mehr Frauen ein Kopftuch, heute aber tragen sie es außerhalb ihres Hauses.

Früher seien Menschen wie er diskriminiert worden, „wie die Schwarzen in den USA“, damit sei seit Erdogan Schluss.

Unternehmer Dursun verkauft Kopftücher der Marke "Armine" - nicht mehr als früher, dafür zu höheren Preisen.

Unternehmer Dursun verkauft Kopftücher der Marke „Armine“ – nicht mehr als früher, dafür zu höheren Preisen.

Wirtschaftlich empfinden selbst viele seiner Gegner die AKP-Regierung als Erfolgsgeschichte. Das Problem ist nur: Den Aufschwung ermöglichte eine Privatisierungs- und Liberalisierungswelle in den Anfangsjahren, deren Schwung jetzt nachlässt. Heute wächst die türkische Wirtschaft nur noch mit 3,5 Prozent – zu wenig für ein Schwellenland mit einer jungen, schnell wachsenden Bevölkerung. Zudem gerät der wirtschaftsliberale Flügel der Partei stärker unter Druck. Und Erdogan scheint mittlerweile weniger an weiteren Reformen als am eigenen Machterhalt interessiert zu sein.

Erst diese Woche wurde ein neuer Zentralbank-Chef ernannt. Nur wenig ist über den erst 39-Jährigen bekannt. Der Präsident fordert aber trotz der anziehenden Inflation Zinssenkungen. Seiner Meinung nach würden hohe Zinsen die Inflation erst verursachen. Damit widerspricht er zwar jeder ökonomischen Theorie. Aber er sieht auch eine „internationale Zinslobby“ am Werk.

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1 Kommentar
  1. […] Während ich in mich durch Neu Delhi quäle, hat Kollege Philipp Mattheis den Friseur des türkischen Präsidenten Erdogan besucht. Der hat ihm erzählt, warum er und viele anderen Türken den umstrittenen Staatschef so toll finden. Hier geht es zu seinem lesenswerten Text. […]

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